Die Clans von Stratos
»Sie sind weder Bienen noch Ameisen«, sagte ich mir im stillen, um allzu naheliegende Vergleiche von vorneherein zu unterdrücken. Und ich wiederholte das Motto meines Berufsstandes:
»Löse dich von vorgefaßten Meinungen.«
Die Savante zeigte mir Höfe und Gärten und große Hallen; von den Kindern, die uns in Scharen flüsternd und kichernd verfolgten, ließ sie sich dabei nicht im mindesten aus der Ruhe bringen. Die Nitroci halten keine Hausangestellten, keine Vars, die unangenehme Arbeiten ausführen mußten, weil wohlhabende Klone dies für unter ihrer Würde erachten. Keine Nitroci schämt sich, schwere oder schmutzige Arbeiten zu verrichten, ob es sich nun um das Reinigen der Kamine handelt, das Schrubben der Toiletten oder das Decken eines Dachs. Je nach Alter werden die Aufgaben verteilt, und jedes Mädchen und jede Frau bekommt abwechselnd lästige oder angenehmere Pflichten. Jede weiß, wie lange eine bestimmte Phase dauert. Nach einem festgelegten Zeitraum übernimmt eine jüngere Schwester die Arbeit, und die Betreffende wendet sich etwas anderem zu.
Kein Wunder, daß sich Kinder und Jugendliche in dieser Geborgenheit und Sicherheit anmutig durchs Leben bewegen. Jede Klontochter wächst auf, umgeben von älteren Frauen, die genauso sind wie sie und ihre Aufgaben mit einer ruhigen Kompetenz erledigen, aus der ihre jahrhundertelange Erfahrung spricht. Eine junge Nitroci kennt die Ausführung einer Arbeit im Unterbewußtsein schon längst, ehe sie selbst sie verrichten muß. Keine drängt sich in eine Machtposition, ehe sie ihr zusteht. »Meine Zeit wird kommen«, so scheint die Devise der Nitroci zu lauten.
Zumindest war das die Geschichte, die sie mir verkaufen wollten. Zweifellos variiert diese Geschichte von Clan zu Clan, und gewiß funktioniert es selbst bei den Nitroci nicht immer perfekt. Aber ich frage mich…
Utopisten haben sich seit jeher die ideale Gesellschaft ausgemalt, ohne Konkurrenz, in reiner Harmonie. Die menschliche Natur – und das Prinzip der egoistischen Gene – schien ihren Traum für immer aus dem Bereich des Möglichen zu drängen. Doch in einem stratoinischen Clan, wo alle Gene gleich sind, welche Funktion sollte da der Egoismus haben? Die Tyrannei der biologischen Gesetze greift nicht mehr und gibt nach. Das Wohl des Individuums ist mit dem der Gruppe identisch.
Das Haus der Nitroci ist erfüllt von Liebe und Lachen. Alle machen einen selbstgenügsamen und glücklichen Eindruck.
Ich glaube nicht, daß meine Gastgeberinnen bemerkt haben, wie ich unwillkürlich schauderte, obwohl mir nicht kalt war.
Kapitel 17
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Am nächsten Morgen lag Glorienfrost auf Deck. Frisch gefallen aus den hohen Wolken der Stratosphäre, bedeckte er als zarte Schicht jede Oberfläche – Spieren, Reling, Takelage – und verwandelte die Manitou in ein Märchenschiff aus Kristallstaub, das im verschwenderischen rosafarbenen Licht der Morgensonne schimmerte.
Maia stand auf der schmalen Treppe, die von der kleinen Kabine, die sie mit neun anderen Frauen teilte, nach oben führte. Sie rieb sich die Augen und starrte ins glitzernde Morgenlicht, das süß in ihren Augen brannte. Wie wunderschön, dachte sie, während sie beobachtete, wie sich die unzähligen rosenfarbigen Pünktchen vom einen zum anderen Moment veränderten.
Sie erinnerte sich an Tage, an denen Port Sanger so ausgesehen hatte. Dann wurden Läden und Geschäfte geschlossen, Frauen rannten nach draußen, um kristallene Pusteblumen von den Simsen hereinzuholen und in Einmachgläsern zu verwahren. Ein Sprühregen von Glorienfrost brachte den Alltag weit mehr durcheinander als ein richtiger Schneefall; bei Schnee wurden Winterstiefel und Schaufeln hervorgeholt und viele beklagten sich über die zusätzliche Arbeit.
Den Männern war ein ordentlicher Schneefall ohnehin lieber. Selbst schlüpfriges Eis, das die Straßen glatt und heimtückisch machte, störte die rauhen Seeleute weniger als eine dünne Schicht Glorienfrost. Die meisten Männer flohen auf ihre Schiffe oder jedenfalls vor die Stadttore, bis die Sonne die Stadt wieder gesäubert hatte und der festliche Übermut der Frauen etwas nachließ.
Aber das war auf dem Festland, rief sich Maia ins Gedächtnis. Hier gibt es für die armen Kerle keine Möglichkeit wegzulaufen.
Von der schmalen Tür am Kopf der Treppe wehte kühle Luft mit einem leichten Zimtgeruch um Maias Nase. Also war mehr Frost gefallen als damals in Long Valley. Die Luft war erfrischend, und ein
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