Die Clans von Stratos
Clan.«
»Ich wünschte, ich könnte das gleiche über Lamatia sagen.«
»Wünsch dir das lieber nicht.« Er blickte übers Meer hinaus. »Nach allem, was du erzählt hast, haben sie sich auf Distanz gehalten. Das ist sehr ehrenwert und hat auch seine Vorteile.«
Als sie in seine traurigen Augen sah, glaubte Maia ihm. Die Menschen neigen von Natur aus dazu, den eigenen Kindern starke Gefühle entgegenzubringen, selbst wenn sie nur zur Hälfte die eigenen sind. Auch in Port Sanger kannte Maia manche Clans, die sich mit ihren Sommerkindern so eng verbunden fühlten, daß es ihnen schwerfiel, sie gehen zu lassen. In diesen Fällen wurde der Abschied etwas leichter durch den Drang der Jugendlichen, die engen Mauern der Stadt zu verlassen. Aber Maia konnte sich gut vorstellen, daß es viel schwerer war wegzugehen und zu vergessen, wenn man ein liebevolles Heim und eine interessante Umgebung hinter sich ließ.
Allerdings machte das ihren Neid nicht geringer. Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenigstens ein bißchen von dem kennenzulernen, was ihm jetzt Probleme macht.
»Das stört mich auch nicht mal so sehr«, fuhr Brod fort. »Ich weiß, ich muß darüber hinwegkommen, und das werde ich auch. Wenigstens veranstalten die Starklands hin und wieder Familienzusammenkünfte. Viele Clans halten ja nichts von solchen Sachen. Aber es ist seltsam, was man alles vermißt. Ich wollte, ich hätte meine Bibliothek nicht aufgeben müssen.«
»Die in der Starkland-Feste? Aber es gibt doch auch in den Reservaten große Bibliotheken.«
Er nickte. »Die solltest du dir mal ansehen. Kilometerlange Regale, vollgestopft mit Büchern – handgearbeitete Ledereinbände, Golddruck, unglaublich! Und trotzdem könntest du beispielsweise die gesamte Bibliothek von Trentinger Beacon in fünf der Datenboxen stopfen, die sie am Enduanna College haben. Dort benutzt man noch das Alte Netz, weißt du.«
Brod hielt inne und schüttelte den Kopf. »Starkland hatte einen Zugang. Wir sind eine Bibliothekarsfamilie. Ich hatte Talent für diesen Beruf. Mutter Cil hat gesagt, ich wäre bestimmt in der falschen Jahreszeit geboren. Es hätte den Clan stolz gemacht, wenn ich ein Vollklon gewesen wäre.«
Maia seufzte mitfühlend; sie konnte die Geschichte nur zu gut nachvollziehen. Auch sie hatte Talente, die sie in keinem ihr offenstehenden Lebensweg nutzen konnte. Ein paar Minuten schwiegen sie beide. Schließlich standen sie auf und wanderten zu einer anderen Stelle, wo sie einen Zweig mit Blättern ins schäumende Wasser warfen und an ihrem Herzschlag abzählten, wie lange er brauchte, um wegzukommen.
»Kannst du ein Geheimnis für dich behalten?« fragte Brod unvermittelt. Maia drehte sich zu ihm um und blickte in seine hellen Augen.
»Ich denke schon. Aber…«
»Es gibt noch einen Grund, weshalb sie mich meistens an Land lassen… der Kapitän und die Maate, meine ich.«
»Ja?«
Er sah sich nach rechts und nach links um, dann beugte er sich zu ihr.
»Ich… ich werde seekrank. Fast die Hälfte der Zeit ist mir schlecht. Von dem großen Kampf, bei dem du gefangengenommen wurdest, hab ich kaum was gesehen, weil ich dauernd über der Reling hing. Nicht sonderlich passend für einen Kerl, der Offizier werden soll.«
Maia starrte den Jungen an. Wieviel Überwindung ihn dieses Geständnis gekostet haben mußte! Aber sie konnte nicht an sich halten, und obwohl sie sich anstrengte, ein ernstes Gesicht zu machen, mußte sie sich die Hand vor den Mund halten, um nicht laut loszulachen. Brod schüttelte abwehrend den Kopf. Er preßte die Lippen zusammen, aber es half nichts, die Mundwinkel verzogen sich nach oben. Er schnaubte. Jetzt war es mit Maias Fassung vorbei, sie hielt sich den Bauch und lachte schallend. Eine Sekunde später stimmte Brod mit ein, und selbst wenn er zwischendurch nach Luft schnappte, klang es wesentlich besser als ein Schluchzen.
Am nächsten Tag zog ein riesiger Schwarm Schwebgleiter über sie hinweg nach Norden, wie farbenfrohe Sonnenschirme oder flache Ballons, die sich bei einer von Riesen ausgerichteten Party losgerissen hatten. Die Morgensonne schimmerte durch die aufgeblähten Gassäcke und herabbaumelnden Schweife und warf vielfarbige Schatten auf das bleiche Wasser. Der Konvoi erstreckte sich von einem Horizont zum anderen.
Vom Hang aus beobachtete Maia mit Brod und ein paar anderen Frauen das Schauspiel und erinnerte sich daran, wie sie das letzte Mal so große Gleitvögel gesehen hatte, wenn auch längst nicht
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