Die Clans von Stratos
Maia und Brod die geheime Com-Einheit benutzen und darauf hoffen, daß sie ihnen nach dem Anruf nicht eine weitere aristokratische Schlägerbande auf den Hals hetzten.
Vorausgesetzt natürlich, der Apparat wurde nicht abgehört. Oder man erreichte von ihm aus nicht nur eine einzige Gegenstelle. Es gab noch ein Dutzend weiterer unangenehmer Möglichkeiten, aber was blieb ihnen übrig? Der wichtigste Grund, Renna zu suchen, war, daß sie ziemlich sicher sein konnten, er würde mit einem besseren Plan aufwarten.
»Hmm«, brummte Brod, wenig getröstet. »Und wenn sie dich gefangennehmen?«
Maia grinste und knuffte ihn kameradschaftlich gegen die Schulter. »Ich weiß, du hast Angst, daß du nichts zu futtern kriegst.« Denn Maia sollte auch alles Eßbare mitbringen, das ihr unter die Finger kam. Aber Brod machte einen beleidigten Eindruck, deshalb sagte sie sanfter: »Im Ernst, lieber Freund – wenn ich gefangen werde, mußt du selbst entscheiden. Wenn du dich stark genug fühlst, um zu warten, schlage ich vor, du hältst durch bis morgen nacht, kurz vor Morgendämmerung. Dann versuch dich herabzulassen und das Beiboot zu stehlen, das am Heck der Manitou festgebunden ist. Nimm Kurs auf Halsey. Da wirst du zumindest…«
»Ich soll dich im Stich lassen?« rief Brod entsetzt. »Ich werde nichts dergleichen…«
»Natürlich wirst du das. Ich war schon ein paar Mal im Gefängnis, ich komme zurecht. Außerdem werden sie ihre Wachsamkeit verdoppeln, wenn sie mich heute nacht tatsächlich erwischen, wie ich im Schutzgebiet herumschleiche. Du kannst nur helfen, indem du etwas anderes ausprobierst. Erzähl deiner Gilde, wie Corsh ermordet wurde. Mit Zeugen und einem nicht verwanzten Komgerät kannst du immer noch die Polizei rufen und jedes Mitglied des lysosverdammten Regierungsrats. Zwar ist das immer noch ein Risiko, aber eventuelle Verschwörer würden es sich zweimal überlegen, ehe sie sich vor Augenzeugen mit den Flossenfüßern anlegen.«
»Hmm. Das klingt vernünftig.« Er schüttelte den Kopf und scharrte mit der Sandalenspitze im Kies. »Es wäre mir trotzdem recht… Sei vorsichtig, ja?«
Maia schlang die Arme um ihn.
»Ja, ich bin vorsichtig.« Sie drückte ihn an sich und spürte, wie er in typischer Wintermanier zuerst zurückwich, sich dann aber entspannte und ihre Umarmung herzlich erwiderte. Maia sah ihm in die Augen, in denen sie einen Moment Tränen zu sehen glaubte, als Brod sie losließ und sich wortlos abwandte. Sie sah ihm nach, wie er die Felsterrasse überquerte und auf der Steintreppe verschwand. Wie sie es geprobt hatten, würde ihr Partner ein paar Minuten brauchen, ehe er den Aufzugschuppen erreichte. Unterdessen ging sie an den Rand des Plateaus und zog das Seil stramm, stemmte die Füße fest auf den Boden und lehnte sich zurück, bis fast ihr ganzes Gewicht über dem Abgrund hing.
Eigentlich müßte ich schreckliche Angst haben. Aber ich spüre nichts.
Stück für Stück hatte Maia ihre Höhenangst verloren, und jetzt war nur eine belebende Erregung zurückgeblieben, die ihren Puls angenehm beschleunigte. Seltsam, wo die Lamai doch allesamt unter Höhenangst leiden. Vielleicht liegt es daran, daß ich in einem Dachzimmer aufgewachsen bin. Oder ich schlage meinem Vater nach… wer immer dieser Bastard auch sein mag. Trotz Brods Informationen war er für Maia noch immer nichts weiter als ein Name. »Clevin.« Kein Bild erschien vor ihrem inneren Auge, obgleich ihr jemand irgendwo zwischen Renna und dem alten Bennett ganz recht gewesen wäre.
Da Maia stets Ausschau nach möglichen Nischen hielt, überlegte sie, ob es auf ein nützliches Talent hinweisen könnte, daß sie vor einem Abgrund so ruhig blieb. Wenn sich eine Gelegenheit ergibt, muß ich das mal mit Leie besprechen, schwor sie sich. Vielleicht stecke ich sie dann in einen Käfig und hänge ihn über einen Abgrund, um zu sehen, ob es ein genetisches Merkmal ist oder ob einfach nur die Umwelteinflüsse daran schuld sind, denen ich seit unserer Trennung ausgesetzt war.
Natürlich würde Maia niemals wirklich ein solches Experiment machen. Aber mit solchen Phantasien baute sie ein wenig von der Spannung ab, die sie beim Gedanken an das Wiedersehen mit ihrer Zwillingsschwester empfand. Am Hosenbund spürte sie den hölzernen Knüppel, den sie sich aus dem Bein eines zerbrochenen Schildständers zurechtgeschnitzt hatte. Falls nötig, würde sie ihn auch gegen ihre Schwester einsetzen. Außer der winzigen Schere, die sie in ein
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