Die Clans von Stratos
Party für uns im Hochsommer, dann sind wir ein halbes Jahr später weniger verdrießlich.« Er zuckte die Achseln. »Aber es könnte uns helfen, wenn die Freibeuter heute abend feiern, alberne Papphütchen aufsetzen und sich einen Schwips antrinken. Vielleicht sind sie dann so damit beschäftigt, männliche Gefangene zu belästigen, daß sie ihre ungebetenen Gäste gar nicht bemerken.«
Gute Idee, dachte Maia, während sie ihren Sextanten zusammenklappte. Vorausgesetzt, die Männer sind noch am Leben. Nach dem Massaker an Bord der Draufgänger wäre es für die Freibeuter der nächste logische Schritt, sich aller anderen Augenzeugen zu entledigen, ehe sie sich ein neues Versteck suchten. Das umfaßte nicht nur die Männer von der Manitou, sondern auch die Radis und womöglich sogar neuere Rekruten, wie beispielsweise Leie. Renna war wahrscheinlich immer noch zu wertvoll, aber selbst sein Schicksal wäre ungewiß, falls Balthas Truppe jemals in die Enge getrieben werden sollte.
Solche unheilvollen Überlegungen erschwerten das Warten auf die Dunkelheit. Maia und Brod sahen zu, wie die Dämmerung erstarb und die Felsspitzen von Jellicoe Island zu einem einzigen Zackenpanorama verschmolzen, das sich dunkel gegen den Sternenhimmel abhob. Unter ihnen, inmitten der undurchdringlichen Finsternis der Lagune, flimmerten in bleichen Farbkreisen die Lampen an dem schmalen Dock, an dem die beiden Schiffe festgemacht waren. Hie und da sah man mehrere kleinere Laternen, die sich, begleitet von langen, zweibeinigen Silhouetten, rasch vorwärtsbewegten. Schwache, unverständliche Rufe drangen an Maias Ohr, gefiltert durch die engen, spitz zulaufenden Felsspalten. »Sieht doch ganz danach aus, als wären sie in Feierstimmung«, meinte Brod, als eine Gruppe fackeltragender Schatten aus dem größeren Schiff stieg, den Kai entlangschlenderte und in einem breiten Steinportal am Fuß der Klippe verschwand. »Vielleicht sollten wir noch ein wenig abwarten. Wenigstens, bis sie schlafen gegangen sind.«
Auch Maia wäre das lieber gewesen, aber im Osten gingen bereits zwei Monde auf und der dritte war demnächst fällig. In wenigen Stunden würden alle drei hoch am Himmel stehen und die Lagune und die sie umgebenden Felsen beleuchten. »Nein«, antwortete Maia kopfschüttelnd, »jetzt oder nie. Machen wir uns auf den Weg.«
Brod half ihr, die Halterung anzulegen, die er mit Hilfe der Schere aus den vom Regierungsrat so freundlich hinterlassenen Warnschildern gebastelt hatte. So verpackte Maia ihr Hinterteil und ihre Oberschenkel in drohende Pappstreifenworte und stieg in eine Doppelschlaufe Seil, die zum Einholen von Zeppelinen gedacht war. Das System war uralt – wahrscheinlich stammte es noch aus Zeiten vor der Verbannung, als die Männer angeblich nicht nur über die Meere, sondern auch durch die Luft gesegelt waren. Maia konnte nur hoffen, daß die Kriegerclans, die die Ausrüstung jetzt benutzten, diese auch gut instand hielten.
Als nächstes gab Brod ihr zwei Stücke schweren Stoffs – die unteren Teile seiner Hosenbeine, die er abgeschnitten hatte, damit Maia sie als Handschoner benutzen konnte. Sie packte das rauhe Seil. »Bist du ganz sicher, daß du die Signale im Kopf hast?«
Er nickte. »Zweimal Ziehen bedeutet Stop. Dreimal Zurückziehen. Viermal Warten. Und fünfmal, daß ich runterkommen soll.« Brod machte ein unglückliches Gesicht. »Willst du wirklich nicht, daß ich zuerst runtergehe?«
»Darüber haben wir doch stundenlang geredet, Brod. Ich bin kleiner und nicht ganz so übel zugerichtet wie du. Wenn ich erst mal unten bin, hält man mich im Dunklen vielleicht für eine von den Piratinnen. Außerdem verstehst du was von der Winde. Ich verlasse mich darauf, daß du mich rausholst, wenn ich mich umgesehen habe und wieder hoch will.«
Idealerweise würde sie zusammen mit Renna zurückkommen, den sie am liebsten direkt unter der Nase der Freibeuter befreit hätte. Aber mit einem solchen Wunder zu rechnen, wäre etwa so vernünftig gewesen, als wollte man einen Lugar auf die Universität schicken. Immer noch weit hergeholt, aber wesentlich wahrscheinlicher war es, daß sie nahe genug an Renna herankam, um ihm durch die Gitterstäbe seines Gefängnisses etwas zuzuflüstern oder ein paar Morsezeichen auszutauschen. Wenn sie nur ein paar Minuten mit ihm Kontakt aufnehmen konnte, würde sie ganz gewiß wertvolle Informationen bekommen – beispielsweise die Namen der Ratsfrauen, denen Renna vertraute. Dann konnten
Weitere Kostenlose Bücher