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Die Clans von Stratos

Die Clans von Stratos

Titel: Die Clans von Stratos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brin
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kleinen Löcher schob.
    »Und ich habe tatsächlich ein Kribbeln gespürt…«
    Leie verstummte und starrte Maia an. Auch Maia blickte verblüfft auf ihren kleinen Sextanten.
    Mitten auf seiner zerkratzten Oberfläche war ein kleines Fenster aufgeleuchtet, vielleicht zum ersten Mal seit Jahrhunderten. Winzige, unvollkommene Buchstaben, denen Ecken und Ränder fehlten, flackerten und wurden schließlich zu einem gleichmäßigen Glühen.
     
…finde, was verborgen ist…
     
    »Große Mutter des Lebens!«
    Der Ausruf ließ beide Mädchen aufblicken. Überrascht sah Maia, daß Kapitän Poulandres und einer seiner Offiziere in der Tür oberhalb der Bankreihen standen und sprachlos zu ihnen herabstarrte.
    Maias erster Gedanke war pragmatisch. Wie können sie den Sextanten von da oben sehen?
    »Ich…« Poulandres schluckte schwer. »… ich wollte euch Bescheid geben. Die Piraten sagen, sie wollen verhandeln. Sie sagen…« Er schüttelte den Kopf, unfähig, sich auf seine dringende Botschaft zu konzentrieren.
    »Bei Lysos und allen Ozeanen, wie habt ihr beiden das geschafft?«
    Allmählich dämmerte es Maia, daß der Kapitän die Schrift auf dem Sextanten nicht sehen konnte. Er starrte auf etwas anderes. Etwas über ihr, hinter ihrem Rücken. Gleichzeitig, wie von einem Faden gezogen, standen sie und Leie auf, drehten sich um – und schnappten hörbar nach Luft.
    Dort auf der riesigen, zuvor leeren Vorderwand der Halle, lag jetzt ein enormes Gitterwerk aus dünnen, mikroskopisch feinen Linien, auf denen Myriaden vielfarbiger winziger Pünktchen tanzten. Ein orgiastisches, farbenfrohes Schauspiel fließender Muster, umgeben von Strudeln und Wirbeln, wimmelnden Dschungeln von simulierter Struktur und Konfusion… künstlichem Chaos und Ordnung… Tod und Leben.
    Trotz aller Abenteuer, trotz aller neuen Erfahrungen gab es wohl manche Charakteraspekte, die sich nie änderten. Wieder einmal war es Leie, die zuerst die Sprache wiederfand.
    »Oh«, sagte sie mit heiserer Stimme und warf Maia einen Blick zu. »Heureka… ich glaube…?«
     
    Der Effekt war noch beeindruckender, als die Freibeuter eine Weile später das elektrische Licht abschalteten, um die Flüchtlinge einzuschüchtern. Sämtliche Glühbirnen erloschen. Inzwischen hatte sich jedoch die gesamte Besatzung der Manitou, abgesehen von den Wachen, in Rennas ehemaligem Gefängnis eingefunden, unter dem Wirbel der Formen und Farben, die sich langsam über die ›Lebenswand‹, wie sie sie getauft hatten, bewegten. Die Männer saßen in kleinen Grüppchen zusammen oder knieten vor dem tanzenden Schauspiel, schlugen in ihren kostbaren Handbüchern nach, blätterten im Licht des sanften multispektralen Glühens eifrig die Seiten um und diskutierten aufgeregt. Zwar hatten sie bereits festgestellt, daß die achtzehn Grundfiguren Komponenten der Pseudoweit waren, die sie hier vor sich hatten, aber dann waren selbst die versiertesten Spieler mit ihrem Latein am Ende. Niemand konnte sich den Sinn der vor ihnen wirbelnden Formen erklären.
    »Es ist Magie«, meinte der Chefkoch voller Ehrfurcht.
    »Nein, nicht Magie«, widersprach der Schiffsarzt. »Es ist viel mehr. Es ist Mathematik.«
    »Wo liegt der Unterschied?« fragte der junge Leutnant, den Maia von der Manitou kannte, mit seinem vornehmen Oberschichtsakzent und versuchte, möglichst gleichgültig zu klingen. »Es sind beides Symbolsysteme. Die den Betrachter mit ihren Abstraktionen hypnotisieren.«
    Der Arzt schüttelte den Kopf. »Nein, mein Junge, das ist falsch. Wie in der Kunst und der Politik geht es bei der Magie darum, andere dazu zu bringen, daß sie das sehen, was man sie sehen lassen will, indem man beispielsweise irgendwelche Beschwörungsformeln murmelt oder mit den Armen herumfuchtelt. Magie gründet sich immer auf die Annahme, daß die Willenskraft des Zauberers stärker ist als die Natur.«
    Die Farben an der Wand huschten hell über die Glatze des alten Mannes. Er lachte. »Aber die Natur schert sich nicht um Willenskraft, gleichgültig von wem! Die Natur ist zu stark, man kann sie nicht zwingen, und sie ist viel zu gerecht, um sich bestechen zu lassen. Sie behandelt eine Clanmutter genauso grausam und konsequent wie die unwichtigste Var. Die Gesetze der Natur gelten für alle gleichermaßen.« Er schüttelte den Kopf und seufzte leise. »Und die Natur hat eine besondere Vorliebe für die Mathematik.«
    Eine Weile betrachteten sie schweigend die ehrfurchteinflößenden kreisenden Figuren.

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