Die Clans von Stratos
Schließlich meinte der Leutnant verärgert: »Aber Männer haben kein Talent für Mathematik!«
»Das ist es, was man uns beibringt«, antwortete der Doktor mit harter Stimme. »Genau das trichtert man uns von Kind auf ein.«
Nachdem Maia dieses Gespräch verfolgt hatte, war ihr klar, daß sie von der Besatzung nicht viel Hilfe erwarten konnte. Die Männer hatten ebensowenig Ahnung von den Künsten, auf denen dieses Wunder beruhte, wie sie selbst. Ihr geliebtes Spiel des Lebens war schön und gut – bis zu einem bestimmten Punkt. Aber die einfachen Spielvarianten, die sie auf den Schiffen und in den modernen Reservaten spielten, waren nicht viel mehr als ein Geheimnis gesammelter Tricks und Intuition. Es war wie eine Schüssel mit Wasser verglichen mit dem großen Meer, das hier vor ihnen lag.
Maia hatte versucht, einzelne Punkte zu erspähen, um aus der jeweiligen Position die Spielregeln zu entnehmen. Zuerst glaubte sie, neun Farben zu erkennen, die viermal so stark auf ihre nächsten Nachbarn reagierten als auf die daneben und so weiter. Dann sah sie genauer hin und erkannte, daß jeder Punkt aus einem Schwarm kleinerer Pünktchen bestand, von denen jedes mit denen ringsum im Austausch stand. Aus der Ferne vermischte sich die Kombination und vermittelte die Illusion einer durchgängigen Farbschattierung.
»Maia!« Leie klopfte ihrer Schwester leicht auf die Schulter. Maia wandte sich um, denn Leie deutete zum rückwärtigen Teil der Halle, wo ein Bote den Gang zwischen den Bankreihen herabgeeilt kam. Durch die ständig wechselnden Lichtverhältnisse war das nicht ganz einfach. Atemlos kam der Kabinenjunge zu Maia. Seine Botschaft umfaßte lediglich zwei Worte.
»Sie kommen!«
Maia konnte sich nur schwer von dem Schauspiel an der Wand losreißen. Bestimmt war sie hier nützlicher. Aber nach mehreren Anläufen schickten die Piraten nun endlich ihre Abordnung, und Poulandres bestand darauf, daß Maia mit ihm kam, um für die Flüchtlinge zu sprechen.
»Warum kannst du es nicht allein machen?« hatte sie ihn gefragt, und er hatte ihr eine reichlich verworrene Antwort gegeben: »Keine Reise geht ohne Kapitän an Land. Keine Fracht wird ohne Eigentümer verkauft. Es ist notwendig.«
Poulandres wartete an der Tür auf Maia. Da Maia noch immer humpelte, gingen sie ganz langsam zu der strategischen Ecke. Die wechselnden Farben folgten ihnen ein Stück weit, und Maia drehte sich immer wieder um, wie von einer greifbaren Macht getrieben. Sie mußte sich anstrengen, um ihre tranceähnliche Versunkenheit abzuschütteln. Die Aussichten auf eine erfolgreiche Unterhandlung waren nicht gerade rosig, das hatte sie dem Offizier schon gesagt.
»Aye. Keine Seite kann die andere angreifen, ohne selbst schwere Verluste einzustecken. Momentan haben wir eine Pattsituation, aber wir stecken leider am falschen Ende einer Sackgasse fest. Wenn wir ihnen genug Zeit lassen, gibt es für sie mehrere Möglichkeiten, uns rauszutreiben.«
»Also ist es ein Todesurteil. Worüber sollen wir verhandeln?«
»Da gibt es genug, Mädchen. Die Piraten wissen, daß hier unten irgend etwas geschehen ist. Sie werden nichts Voreiliges unternehmen, ohne vorher zu versuchen, uns zu überreden.«
An der Ecke trafen Maia und der Kapitän den Navigator. Gebückt, das Gewehr im Anschlag blickte er durchs Visier zu dem schwachen Licht, das von der fernen Treppe kam. Die Freibeuter hatten diesen Teil der Beleuchtung angelassen, um einen eventuellen Angriff der Männer rechtzeitig zu bemerken. Bei einem Handgemenge im Dunkeln hätten sie ihre Vorteile – bessere Waffen, zahlenmäßige Überlegenheit und bessere Position – leicht wieder verspielen können. Bis jetzt hielten alle still.
Zwei verschwommene Gestalten bewegten sich vor dem fernen Halbdunkel. Obgleich Maias Augen an die Dunkelheit gewöhnt waren, brauchte sie eine Weile, bis sie die Silhouetten als zwei Frauen erkannte, die mit entschlossenen Schritten auf sie zukamen.
»Fertig?« fragte Poulandres. Zögernd nickte Maia, und sie machten sich auf den Weg, während der Navigator ihnen Rückendeckung gab. Jetzt, da es darum ging, seine Kameraden zu schützen, würde der Offizier sein ungutes Gefühl sicherlich überwinden, wenn es nötig wurde. Am anderen Ende saßen ebenso gewiß Scharfschützinnen, um ihre Gesandten abzusichern.
Allmählich nahmen die vagen Schattenrisse immer deutlichere Formen an, bekamen Arme, Beine, Köpfe und Gesichter. Beinahe hätte Maia kehrtgemacht, als sie Baltha
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