Die Clans von Stratos
in die Station von Clay Town ein. Passagiere stiegen aus. Zwei Wagen hinter ihnen hörte man Gepolter, denn Männer und Lugars schleppten bereits schwere Landmaschinen aus einem Frachtwaggon. Ein Stück näher sah Maia die Musseli-Frachtmeisterin der Stadt, die – das Klemmbrett in der Hand – vor einem riesigen, mit Paketen beladenen Lugar einherschritt. Lächle, befahl sich Maia. Versuch so zu tun, als wärst du älter als fünf.
»Ist das alles?« fauchte die Frau und deutete auf Maias Kistenberg.
»Ja, Madam. Das ist alles.«
Als Maia den Frachtbrief aushändigte, drängelte sich Tizbe plötzlich an ihr vorbei, leise »Entschuldigung« murmelnd. Die junge blonde Frau trug ihre Reisetasche bei sich. »Ich glaube, ich seh mich mal ein wenig um«, meinte sie leichthin.
»Wir haben nur vierzig Minuten Aufenthalt! Paß auf, daß du dich nicht verläufst!« rief Maia ihr nach, ehe Tizbe um eine Ecke bog und verschwand.
»Hättest du vielleicht auch einen Moment Zeit für mich?«
Maia fuhr herum, sah die Frachtmeisterin und wurde rot. »Entschuldige, Madam. Selbstverständlich.« Damit beugte sie sich über ihr Hauptbuch und kontrollierte die Frachtstücke, während sie sich insgeheim tadelte, daß sie sich wegen dieser dummen Tizbe Sorgen machte.
Sie ist doch bloß irgendeine alberne Var. Eine, die mich überhaupt nichts angeht. Maia, du mußt lernen, die Dinge mehr wie Leie zu betrachten.
Leie hätte sich ganz gewiß nicht um Tizbe gekümmert. Leie hätte gesagt, gut, daß wir sie los sind.
Aber nachdem die Frachtmeisterin einigermaßen zufrieden abgezogen war und noch zehn Minuten bis zur Abfahrt blieben, machte sich Maia dennoch auf die Suche nach ihrer Assistentin. Gerade als sie das Ende des Bahnsteigs erreichte, ohne eine Spur von der blonden Frau entdeckt zu haben, hörte sie aus der Ferne irgendwo jenseits des Brennofenviertels einen Pfiff – der nächste Zug näherte sich Clay Town.
Sie sah einen jungen Mann an einem Hebel, mit dem die nahende Lokomotive automatisch auf eins der drei Gleise geleitet wurde. Ganz in seiner Nähe standen mehrere junge Frauen; kichernd drängelten sie sich auf einem hölzernen Steg vor einem Haus mit roten Vorhängen. Als Maia näher kam, knöpften sich zwei der Frauen gerade ihre Blusen auf, beugten sich zu dem Jungen und wiegten ihren wohlproportionierten Körper. Sein bereits erhitztes Gesicht wurde noch röter. Maia fragte sich, was hier los war.
»Nicht jetzt!« sagte er zu den Frauen. »Geht wieder rein und wartet ’nen Moment.«
Der junge Mann versuchte, sich wieder auf den näherkommenden Zug zu konzentrieren, der noch etwa einen halben Kilometer entfernt war und bereits zu bremsen begann. Die jungen Frauen schienen die Wirkung zu genießen, die sie auf den jungen Mann ausübten. Eine hob die Hand und deutete auf etwas, worauf die anderen in schallendes Gelächter ausbrachen. Die enge Hose des Jungen konnte die Schwellung schlecht verbergen. Er blickte auf, sah, daß Maia die Szene beobachtete, und wandte sich verlegen ab. Das verursachte bei den Frauen einen erneuten Heiterkeitsausbruch.
»He, Garn«, rief eine. »Bist du sicher, daß du den richtigen Hebel hältst?«
»Haut endlich ab!« entgegnete er heiser und bemühte sich, über die Schulter zu sehen, um den Zug im Auge zu behalten. Auf der Stirn des armen Kerls standen dicke Schweißperlen.
»Ach, komm schon«, gurrte eine andere Frau und ließ ihre entblößten Brüste vor ihm hüpfen. »Willst du noch ’nen Schluck?« Sie hielt ihm eine durchsichtige Flasche hin. Statt einer Flüssigkeit enthielt sie ein feines, bläulich schimmerndes Pulver. In einem Mundwinkel des Jungen war ein ähnlich gefärbter Fleck.
»Was geht hier vor?«
Alle Blicke wandten sich zu dem Haus mit den roten Vorhängen. In der Tür standen ein stämmiger älterer Mann und – Tizbe!
Jedoch nicht die Tizbe, die Maia kannte. Maia kniff die Augen zusammen. Ihr erster Eindruck war, daß ihre Assistentin sich in zwanzig Minuten umgezogen und die Haare gefärbt hatte und zehn Jahre älter geworden war!
Lysos, dachte Maia, als ihr klar wurde, wie sie an der Nase herumgeführt worden war. Leie und ich hatten vor, herumzureisen und uns als Klonfrauen auszugeben. Ich hätte nie damit gerechnet, daß jemand den Trick umgekehrt anwenden würde!
»Lenken diese Tussis dich ab, Garn?« fragte der stämmige Mann und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Der junge Mann jedoch schüttelte heftig den Kopf und erwiderte:
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