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Die Clans von Stratos

Die Clans von Stratos

Titel: Die Clans von Stratos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brin
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wie die anderen, die ringsum postiert waren und warteten, um bei Bedarf – falls jemand ungestört sein wollte – die trennenden Vorhänge anzubringen.
    »Komm, schauen wir uns die Sechser an!« rief Leie. Etwas widerwillig riß Maia sich los und schlängelte sich zu ihrer Schwester hinüber. »Da drüben an der Nordwand«, flüsterte Leie.
    Das rosarote Glasstück war wellig und die Vergrößerung nicht so gut wie an der klaren Linse. Deshalb dauerte es eine Weile, bis sie die richtige Position gefunden hatten, aber schließlich entdeckte Maia einen Schwarm von Mädchen, die in hellen, hauchdünnen Gewändern etwas beiseite standen und warteten. Um weniger mädchenhaft zu wirken, trugen sie dicke Schminke im Gesicht, und zweifellos waren sie großzügig parfümiert, um den Geruchssinn der Männer zu täuschen. Naturgemäß fühlten sich Männer mehr zu älteren Frauen hingezogen, die bereits ein- oder zweimal geboren hatten, aber diese Zeremonie war allein für die Sechsjährigen. Es war ihr Ehrentag, und die Mütter hatten keine Kosten und Mühen gescheut.
    Maia brauchte sie nicht zu zählen. Sie wußte, es waren dreizehn, eine ganze Klasse Lamai-Winterlinge, allesamt sauber und wunderbar identisch, aber jede für sich voller Hoffnung, gerade sie würde diejenige sein, die erwählt wurde, wenn der Moment kam.
    Sie konnten von Glück sagen, wenn zwei oder drei es dieses Jahr schafften. Man erwartete nicht viel von Sechsjährigen. In diesem Alter produzierte der Körper nur mitten im Winter die richtigen chemischen Stoffe für die Vermehrung, ganz gleich, ob ein Mädchen eine bescheidene Var oder eine arrogante Klonin war. Noch mit sieben war die fruchtbare Phase recht kurz. Die meisten Frauen bekamen erst mit acht oder mehr die Reife, auch wenn ihr Clan ihnen vollen Rückhalt gewährte. Dann war die fruchtbare Phase auch lang genug, daß sie sich mit der verbliebenen Sommerleidenschaft der Männer im Herbst überschnitt und auch mit der, die sich im Frühling wieder regte.
    Lamatia versprach sich nicht allzuviel von der heutigen Sonnwendfeier, aber sie war trotzdem wichtig. Ein Initiationsritus für die jungen erwachsenen Mitglieder des Clans. Ein Omen für das kommende Jahr.
    Jetzt beobachtete Maia, wie die Lamai-Sechser sich unter die tanzenden Oosterwycks mischten und eine nach der anderen mit tadellos geübten Schritten zwischen sie schlüpften. Irgendwie – wahrscheinlich genau nach Plan – schienen die weicheren Bewegungen der dunkelhäutigen Berufstänzerinnen die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf die hellhaarigen Anfängerinnen zu lenken. Die Sechsjährigen hatten ihre Bewegungen mit der Lamai-typischen Sorgfalt eingeübt. Die Choreographie des Tanzes sah vor, daß jede gleichviel Zeit zugemessen bekam, wenn sie in vorgegebener Abfolge immer näher an das Publikum heran tanzten, doch Maia fiel auf, wie eifrig jede junge Lamai versuchte, ihre Schwestern auszustechen. Aus irgendeinem Grund wirkten sie dadurch nur noch ähnlicher.
    Als Maia sich etwas zurücklehnte, um die Vorgänge in breiterem Rahmen auf sich wirken zu lassen, schoß ihr der Gedanke durch den Kopf, daß die Männer da unten sich jetzt in einer Situation befanden, für die sie noch vor einem halben Jahr wahrscheinlich zu töten bereit gewesen wären, als die Stadttore verschlossen waren und die Patrouillen der Guardia die wenigen von ihnen, die aus den nahegelegenen Reservaten heraus durften, streng im Auge behielten. Im Sommer heulten die Männer vor den Toren, um eingelassen zu werden.
    Jetzt, da die Frauen sich auf dem Gipfel ihrer Empfängnisbereitschaft befanden, fläzten sich die Matrosen auf ihre Polster, als wäre ihnen die Gesellschaft eines guten Buches oder einer interessanten Fernsehsendung weit willkommener. Auf dem Rand der Kuppel kauernd beobachtete Maia Dinge, die sie bisher nur aus oberflächlichen Beschreibungen kannte, und plötzlich überkam sie ein großes Staunen, gemischt mit einer erschütternden Einsicht.
    Ironie. Dieses Wort hatte sie erst vor kurzem gelernt. Sie mochte seinen Klang und auch, daß es sich weigerte, festgenagelt und definiert zu werden. Man begriff seine Bedeutung nur anhand von Beispielen. Und dies hier war ein gutes Beispiel von Ironie.
    Ich frage mich, warum Lysos es so eingerichtet hat… damit niemand genau das bekommt, was sie oder er will, außer dann, wenn er oder sie es gar nicht will?
    »Maia, psst!« Leie winkte von dem klaren, konvexen Glasstück herüber. »Komm, sieh dir das

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