Die Clans von Stratos
an!«
»Ist einer von ihnen groß geworden?« fragte Maia atemlos, während sie hinübereilte, so hastig, daß sie unterwegs fast abgerutscht wäre. Sie bebte, gleichzeitig vor Ekel und vor Erregung, als sie ihren Kopf neben Leie ans Glas drückte.
Was in Sicht kam, war jedoch nicht das geheimnisvolle Anhängsel. Es war das bärtige Gesicht eines Mannes, den Maia erkannte – der gutaussehende, attraktive Kapitän des Frachters mit dem Namen Herrscherin, dessen herzliches Lachen und dröhnende Stimme sie immer so gern hörten, wenn die Mütter ihn und seine Offiziere zum Essen einluden. Die Hälfte der lamaianischen Sommerknaben wollte mit ihm zur See fahren, die Hälfte der Sommermädchen stellte sich vor, er wäre ihr Vater.
Aber die Sechser dort unten suchten keine Väter für ihre Kinder. Nicht in dieser Jahreszeit. Der gleiche körperliche Akt war im Winter wertvoller als im Sommer, weil die Vaterschaft nichts damit zu tun hatte.
Was die Sechser suchten, war die Stimulation, eine Inseminierung, die die Bildung einer Plazenta in Gang setzen, die Reifung eines Klonkinds auslösen sollte. Und von diesem Kapitän sagte man, er hätte in manchen Jahren sieben, ja manchmal acht und mehr Winterlingen zur Entstehung verholfen, ganz allein! Wie in dem Kinderlied…
Beim Sommerpapa
wenn der Samen
allzu leicht kommt
wird’s ’ne Var.
Doch im Winter
was stimuliert wird
das ist wertvoll
ganz und gar!
Mit schmalen, aufmerksamen Augen verfolgte der Kapitän die Bewegungen der Tänzerinnen, die ihn jetzt umschwebten, fast in seiner Reichweite. Sein eingeölter, kräftiger Körper erinnerte Maia nicht so sehr an einen Lugar, als vielmehr an ein Rennpferd, denn er strahlte mehr Kraft aus, als ein menschliches Wesen je verbrauchen konnte. Sein Gesicht, zwar behaart, aber auf maskuline Art sehr intelligent, schien sich ganz auf einen einzigen Gedanken zu konzentrieren und ihm intensiv nachzugehen. Als eine der sechsjährigen Lamai-Mädchen an ihm vorüberwirbelte, kniff er die Augen zusammen, sein Kiefer zuckte, sicher im Ansatz eines Lächelns, eines knospenden Verlangens. Er hob die Hand…
Und legte sie vor den Mund, um höflich, aber vergeblich – ein Gähnen zu verbergen.
Es dämmerte, ehe das Durcheinander von Träumen und verzerrten Erinnerungen einem benebelten Wirklichkeitsgefühl Platz machte. Welcher Tag begann, hätte Maia allerdings nicht sagen können, denn ihr Körper schmerzte, als hätte sie Nacht um Nacht mit wilden Feinden gekämpft. Erst allmählich begriff sie, daß ihre Arme und Beine mit schwarzen Tüchern gefesselt waren. Sie lag auf der Ladefläche eines rumpelnden Wagens, fest geschnürt wie ein Paket.
Mit tränenden Augen gelang es ihr, den Oberkörper gegen etwas zu stützten, das sich anfühlte wie Getreidesäcke, und sich so weit aufzurichten, daß ihre Augen etwa auf einer Höhe mit den Seitenbrettern des Wagens waren. Über ihr ragten die Rücken von zwei Frauen auf, die den Wagen lenkten. Von hinten sahen sie nicht aus wie Jopland-Frauen. Sie sagten nichts und drehten sich auch nicht nach Maia um.
Den Kopf zu bewegen, war zwar höchst schmerzhaft, aber so konnte sie wenigstens einen Teil der umgebenden Landschaft sehen – eine wellige Hochebene, eine Steppe mit spärlichem Gras, offenbar zu trocken für Ackerbau. Rot- und orangegeränderte Zirruswolken säumten einen dunkelblauen Himmel, an dem noch die Reste nächtlicher Pracht zu sehen waren. Ein leises Krächzen wie von einem großen Vogel drang an Maias Ohr, vielleicht von einem Raben oder dem einheimischen Mawu.
Jetzt fällt es mir wieder ein. Sie haben mir bei der Toilette aufgelauert. Dieser gräßliche Geruch… Er füllte noch ihre Nüstern, während die verblassenden Traumreste sich allmählich verflüchtigten. Doch die Gedanken in ihrem benebelten Kopf waren träge, wie dicker Sirup, der aus einem Glas tropft.
Ein Wagen. Sie bringen mich irgendwohin. Nach Norden, wie es aussieht.
Das zu erraten, war anhand des Winkels der aufgehenden Sonne nicht schwer. Um mehr zu sehen, mußte sie sich zum Sitzen aufrichten, was sie nur Stück für Stück bewerkstelligen konnte, da sie sonst ohnmächtig geworden wäre. Als sie endlich ausmachen konnte, was vor ihr lag, bog der Wagen um eine enge Kurve, und ein Turm von monumentalen Ausmaßen kam in Sicht. Wie eine Säule strebte er hoch in den Himmel; dunkle und helle Streifen wechselten sich ab. Zwar war Maia nicht in der Lage, es genau zu bestimmen, aber sie schätzte,
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