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Die Clans von Stratos

Die Clans von Stratos

Titel: Die Clans von Stratos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brin
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sich, das ferne Geräusch und die drohenden Gestalten, die ihre Phantasie aus den Schatten schuf, so gut es ging zu verdrängen. Ach, laßt mich doch in Ruhe, sagte sie, drehte sich um und schlief ein.
     
    »Ich verliere allmählich den Verstand, wenn ich nichts tun kann!« begrüßte Maia am nächsten Morgen ihre Gefängniswärterinnen. Als diese sie verblüfft anblinzelten, fragte sie: »Gibt es denn keine Bücher hier? Irgendwas zu lesen?«
    Die Wärterinnen starrten sie an, als hätten sie keine Ahnung, wovon Maia redete. Wahrscheinlich können sie nicht lesen, fiel ihr ein. Und selbst wenn die Architektinnen des Reservats eine Bibliothek eingeplant hatten, mit Regalen und allem, was dazugehört, hätten die Männer Bücher und Platten und Tonbänder selbst dafür mitbringen müssen.
    Deshalb überraschte es sie auch, als Gram (oder war es Grimm?) nach einer Weile zurückkam und vier eselsohrige Bücher aus Papier auf den Tisch legte. In den Augen der untersetzten Frau sah Maia ein flehendes Flackern. Sei nicht gemein zu uns, dann sind wir auch nicht gemein zu dir. Maia nahm die Bücher, die vermutlich von den Bauarbeiterinnen hier vergessen worden waren, nickte den Frauen zum Dank zu und belästigte die Aufseherinnen nicht weiter, als sie das Tablett hinaustrugen.
    Sie nahm sich vor, das Lesen auf ein Buch pro Tag zu rationieren und beschloß, mit dem Buch anzufangen, das den schauerlichsten Einband trug: Eine junge Frau mit Pfeil und Bogen, die eine Gruppe von Gefährtinnen und Männern durch die rankenüberwucherten Ruinen einer zerstörten Stadt führte. Maia kannte das Genre -Schundromane für Vars –, Bücher, die billig gedruckt und an arme Sommerlinge wie sie verkauft wurden.
    Eine recht große Anzahl von Vars liebte Lektüre, in der es um den Zusammenbruch der Zivilisation ging, in dessen Verlauf alle wohlgeordneten Nischen der Gesellschaft durcheinandergewirbelt wurden und eine junge Frau sich durch Geistesgegenwart, Klugheit und Heldentaten zum Status einer Gründermutter emporarbeiten konnte.
    In diesem Buch war die Ausgangssituation eine plötzliche Veränderung in der Umlaufbahn von Stratos, wodurch nicht nur die großen Eisflächen des Planeten schmolzen, alle bisher fest etablierten Clans stürzten und der Weg für neue, robustere Typen geebnet wurde, sondern auch auf einen Schlag alle störenden Verhaltensmuster der Männer ausgemerzt wurden, denn jetzt erschienen – dem Zauberstift der Autorin sei Dank! – die Aurorae plötzlich im Winter.
    Es war ein echter Schundroman, aber eine wundervolle Ablenkung. Am Ende der Geschichte hatten die junge Protagonistin und ihre Freundinnen alles wunderbar geregelt. Alle waren dazu ausersehen, hübsche identische Töchter auf die Welt zu bringen und glücklich zu leben bis ans Ende ihrer Tage. Thalia und Kiel hätten ihren Spaß daran, dachte Maia, als sie das Buch weglegte. Bestimmt hat eine Var der Bautruppe es liegen lassen. Kein wintergeborenes Clanmitglied würde das Szenario zu schätzen wissen, nicht mal in der Phantasie.
    Maia ritzte eine weitere Markierung in die Tür. An diesem Abend stieg sie mit wesentlich größerem Selbstvertrauen auf ihre Pyramide. Durch das schmale Fenster beobachtete sie, wie der stetige Westwind träge, rötlich gefärbte Wolken zu den fernen Bergen trieb, wo eine Doppelreihe winziger glitzernder Bälle die schrägen Sonnenstrahlen reflektierte – ein kleiner Schwarm Schwebgleiter auf Reisen, wie sie bald feststellte. Das Gefühl von Freiheit, das von ihnen ausging, tat ihr im Herzen weh, aber sie blieb und blickte hinaus, bis die Dämmerung die farbenfrohen lebendigen Zeppeline endgültig einhüllte.
    Inzwischen waren die Sternbilder am Himmel erschienen. Mit ruhiger Hand hielt Maia den Sextanten, spähte hindurch und merkte sich, wann ein bestimmter Stern den westlichen Horizont berührte. Wenn sie diese Information mit dem Datum verband, konnte sie auch ohne Uhr den Verlauf der Zeit recht genau bestimmen – als hätte sie irgendeine Verwendung dafür! Vielleicht gelingt es mir, auch eine Länge zu berechnen, dachte sie. Damit könnte sie herausbekommen, wo das Gefängnis ungefähr lag.
    »Was meinst du, Leie?« fragte sie flüsternd ihre Schwester.
    In ihrer Phantasie antwortete Leie: »Ach, Maia. In jeder dummen Kleinigkeit siehst du immer gleich ein Muster. Geh lieber schlafen.«
    Ein guter Rat. Schon bald träumte sie von den Aurorae, die wie hauchdünne Vorhänge über den weißen Gletschern ihrer Heimat

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