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Die Company

Die Company

Titel: Die Company Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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versuchte, die Auswirkungen dieser Geheimrede auf den Kalten Krieg im Allgemeinen und auf die Operation mit dem Codenamen CHOLSTOMER im Besonderen auszuloten. Sein Instinkt sagte ihm, dass Chruschtschows Entscheidung, die Verbrechen des verstorbenen (und zumindest in KGB-Kreisen betrauerten) Jossif Wissarionowitsch Dschugaschwili, besser bekannt als Stalin, beim Namen zu nennen, die kommunistische Welt in ihren Grundfesten erschüttern würde.
    Das wurde auch Zeit, fand Starik. Je mehr man sich einer Idee, einer Institution, einer Lebenstheorie verschrieb, desto schwieriger wurde es, mit deren Fehlern zu leben.
    »Jeder Mensch kann irren«, hörte er Chruschtschow gerade sagen, »aber Stalin hielt sich für unfehlbar. Niemals gab er zu, einen Fehler gemacht zu haben, obwohl er sowohl in theoretischen Fragen als auch in der Praxis so manchen Fehler beging.«
    »Was denkt er sich denn dabei!«, rief einer der Direktoratsleiter.
    »Nicht ungefährlich, in der Öffentlichkeit schmutzige Wäsche zu waschen«, murmelte ein anderer. »Wo will man da aufhören, wenn man erst mal angefangen hat?«
    »Stalin hat eine Revolution gefestigt«, zischte ein großer Mann, der mit einem Seidentaschentuch seine Nickelbrille putzte. »Und das war kein Kindergeburtstag.«
    »Wer ein Omelett machen will«, pflichtete jemand bei, »muss Eier zerschlagen.«
    »Wenn Stalins Hände blutbefleckt waren«, sagte einer der jüngeren Leiter, »dann aber auch Chruschtschows. Was hat er denn die ganze Zeit in der Ukraine gemacht? Dasselbe wie Stalin in Moskau – Feinde des Volkes eliminiert.«
    Chruschtschows Stimme im Radio wurde lauter. »Stalin war der Hauptvertreter des Personenkultes, indem er seine eigene Person glorifizierte. Genossen, wir müssen diesem Kult des Individuums mit aller Entschiedenheit ein für alle Mal ein Ende bereiten.« Aus dem Radio ertönte der dröhnende Applaus der Delegierten. Gleich darauf war die Übertragung zu Ende. Die unvermittelte Stille verunsicherte die versammelten Männer, die sich abwandten und es geflissentlich vermieden, einander in die Augen zu sehen. Einige gingen zu einem Wandbrett und gossen sich dort einen Wodka ein. Ein kleiner, fast glatzköpfiger Mann um die sechzig, Leiter der auf Entführungen und Liquidationen spezialisierten Dreizehnten Abteilung des Ersten Direktorats, trat neben Starik ans Fenster.
    »Gut, dass die Rede geheim war«, bemerkte er. »Andernfalls würden Chruschtschows Enthüllungen das Aus für die Kommunistischen Parteiführer bedeuten, die in den sozialistischen Staaten Osteuropas in Stalins Namen und mit Stalins Methoden regieren.«
    Starik nahm die Zigarette aus dem Mund und starrte sie an, als verberge sich in ihrer Glut ein Geheimnis. »Sie wird nicht lange geheim bleiben«, erklärte er seinem Kollegen. »Diese Sache wird wie eine Flutwelle über das sowjetische Lager hereinbrechen. Und dann wird der Kommunismus entweder reingewaschen – oder weggewaschen.«
    Eine halbe Stunde nach dem offiziellen Schluss des XX. Parteitages empfing der Rabbi eine »Bebenmeldung« von einer kommunistischen Quelle in Ostberlin: In Moskau hatte es ein politisches Erdbeben von Stärke neun auf der Richterskala gegeben.
    Da es Samstag war, bat der Rabbi seinen Schabbat-goj Hamlet, die Privatnummer des Zauberers in Berlin-Dahlem zu wählen und ihm den Hörer ans Ohr zu halten. »Bist du das, Harvey?«, fragte der Rabbi.
    Torritis whiskeyverschleierte Stimme knisterte in der Leitung. »Himmel, Ezra, du rufst mich an einem Samstag an? Hast du vergessen, dass so ein samstägliches Telefonat dir Ärger mit dem Schöpfer einbringt?«
    »Ich telefoniere nicht«, beteuerte der Rabbi. »Ich spreche einfach nur so vor mich hin. Es ist ein absoluter Zufall, dass mein Schabbat-goj gerade den Hörer in der Nähe meines Munds hält.«
    »Was ist los?«, fragte der Zauberer.
    Der Rabbi gab kurz die Meldung seiner Quelle in Ostberlin wieder, und der Zauberer knurrte dankbar: »Ich bin dir was schuldig, Ezra.«
    »Allerdings bist du das. Sobald der Schabbat zu Ende ist, werde ich mir das in mein kleines Notizbuch schreiben, das unter meinem Kopfkissen liegt.« Der Rabbi gluckste ins Telefon. »Mit unauslöschbarer Tinte, Harvey.«
    Torriti hängte sich ans Telefon und zog selbst einige diskrete Erkundigungen ein, dann schickte er eine »Top secret« -Meldung an Wisner, der mittlerweile Deputy Director for Operations geworden war, nachdem man seinen Vorgänger Allen Dulles zum Director, Central

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