Die Company
Intelligence befördert hatte. Die Gerüchteküche in Moskau sei außer Rand und Band, so meldete der Zauberer. Chruschtschow habe in seiner Rede vor dem XX. Parteitag scharfe Kritik an Stalins Kult des Individuums geübt, was angeblich nur ein Euphemismus für dessen siebenundzwanzigjährige Schreckensherrschaft sei. Die Enthüllungen würden sich wie ein Lauffeuer in der kommunistischen Welt ausbreiten und hätten mit Sicherheit starke Auswirkungen auf den Kalten Krieg.
In Washington war Wisner so beeindruckt, dass er Torritis Meldung umgehend persönlich zu Dulles brachte.
Dulles erkannte auf Anhieb die propagandistischen Möglichkeiten; falls die Company den Text der Chruschtschow-Rede in die Hände bekäme, könnte man sie in den Satellitenstaaten und der Sowjetunion bekannt machen. Die Folgen wären nicht auszudenken. Hartgesottene Kommunisten in der ganzen Welt würden sich desillusioniert vom Sowjetsystem abwenden; in Frankreich und Italien wäre die Kommunistische Partei auf Dauer als mögliche Regierungspartei diskreditiert; die stalinistischen Regierungschefs in Osteuropa, vor allem Polen und Ungarn, könnten Angriffsziele für revisionistische Kräfte werden.
Dulles instruierte Wisner, sämtliche Company -Dienststellen von Chruschtschows Rede in Kenntnis zu setzen und Anweisung zu geben, dass sie alles Menschenmögliche versuchen sollten, um eine Abschrift davon aufzutreiben.
Letztlich war es dann der Mossad, dem Chruschtschows Geheimrede in die Hände fiel. Auf einem Schreibtisch der kommunistischen Parteizentrale in Warschau entdeckte ein polnischer Jude eine polnische Übersetzung der Rede, und es gelang ihm, sie in die israelische Botschaft zu schmuggeln, wo sie von Mossad-Leuten fotografiert und nach Israel geschickt wurde.
James Angleton studierte gerade die Personalakte eines CIA-Offiziers, als seine Sekretärin ihm eine versiegelte Dokumententasche ins Büro brachte, die soeben von einem jungen israelischen Diplomaten abgegeben worden war. Angleton brach das Siegel mit einer Schere auf und zog einen großen Umschlag hervor. Quer darüber hatte der Chef des Mossad eine Notiz gekritzelt. »Jim – betrachten Sie dies als Anzahlung auf die Informationen, die Sie mir versprochen haben bezüglich der ägyptischen Truppenaufstellung entlang des Suezkanals.« Als Angleton den Umschlag öffnete, fand er darin ein gebundenes Skript mit der Überschrift: »Geheime Ansprache des sowjetischen Ersten Parteisekretärs N. Chruschtschow vor dem XX. Parteitag«.
Einige Tage später gab Dulles (gegen den heftigen Widerstand von Angleton, der die Rede zunächst »bearbeiten« wollte, um die Russen noch mehr zu beschämen) den Text der Geheimrede an die New York Times.
Dann lehnten er und Wisner sich zurück, um in Ruhe zuzuschauen, wie die Sowjets sich wanden.
Ein Freund von Asalia Isanowa, ein Redakteur der Parteizeitung Prawda, teilte ihr das Geheimnis mit, als sie in der Kantine auf einer kleinen Straße hinter dem Kreml für Tee und Gebäck anstanden: Die New York Times hatte den Wortlaut einer Geheimrede abgedruckt, die Nikita Sergejewitsch Chruschtschow vor dem XX. Parteitag gehalten hatte. Chruschtschow hatte bei den Delegierten einen Skandal ausgelöst, so die amerikanische Zeitung, als er die »wahren Verbrechen« von Jossif Stalin anprangerte und den großen Steuermann des Machtmissbrauchs und Personenkults bezichtigte. Asalia wollte der Nachricht zuerst nicht glauben; sie vermutete, die amerikanische Central Intelligence Agency habe die Story lanciert, um Chruschtschow Schwierigkeiten zu bereiten und innerhalb der kommunistischen Hierarchie Uneinigkeit zu säen. Nein, nein, die Story stimmte, beteuerte ihr Freund. Die Schwester der Frau seines Bruders war mit einem Mann verheiratet, der an einem nicht öffentlichen Treffen seiner Parteizelle in Minsk teilgenommen hatte, und dort war Chruschtschows Rede bis ins Kleinste analysiert worden. Es würde Tauwetter in Russland geben, jetzt da Chruschtschow persönlich das Eis gebrochen hatte, prophezeite Asalias Freund übermütig.
»Wenn sich das Klima weiter verändert«, so fügte er im Flüsterton hinzu, »veröffentlichst du vielleicht ja sogar bald deine –«
Asalia hob einen Finger an die Lippen und schnitt ihm das Wort ab.
Asalia – studierte Historikerin und seit vier Jahren Archivarin im Historischen Institut von Moskau, eine Stelle, die sie auf Empfehlung des Vaters einer Freundin, des KGB-Chefs Lawrentij Pawolowitsch Beria,
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