Die Company
»Zunächst möchte ich mein Bedauern aussprechen über den – wie soll ich sagen? – den Eifer, mit dem meine ungarischen Kollegen Sie vernommen haben. Trotzdem, man muss sie verstehen. Im ganzen Land gärt der Aufruhr. Da ist es doch nachvollziehbar, dass meine nervösen ungarischen Kollegen möglichst schnell in Erfahrung bringen wollten, welche Anweisungen Sie dem Aufrührer Á. Zelk überbracht haben. Ich muss sagen, Sie haben sich achtbar gehalten, Mr. Ebbitt. Wir sind zwar Gegner, aber ich kann Ihnen meinen Respekt nicht versagen.« Der Russe räusperte sich verlegen. »Die Engländerin, die in derselben Nacht verhaftet wurde wie Sie, konnte sich den überzeugenden Vernehmungstechniken des AVH nicht widersetzen. Wir kennen also jetzt den Inhalt der Botschaft.«
»Ich habe die überzeugenden Vernehmungstechniken des AVH durch ein Fenster mit angesehen«, bemerkte Ebby schneidend.
»Mr. Ebbitt, Sie sind ein erfahrener Nachrichtenoffizier. Sie werden doch nicht über Vernehmungsmethoden streiten wollen.«
»Lebt die Frau noch?«
Der Russe zog nachdenklich an seiner Zigarette. »Sie lebt und wird noch immer verhört«, sagte er schließlich. »Meine ungarischen Kollegen hoffen, mit ihrer Hilfe Á. Zelk dingfest machen zu können, bevor –«
Von draußen war Gewehrfeuer zu hören; es klang wie Feuerwerkskörper zu Silvester. Der Russe lachte bitter auf. »… bevor es zum Ausbruch offener Kampfhandlungen kommt. Ich kann Ihnen sagen, dass in der Stadt Unruhe herrscht. Á. Zelk soll heute angeblich vor einer Studentenmenge unter der Statue des ungarischen Dichters Petöfi revolutionäre Gedichte vorgelesen haben. Vielleicht haben Sie ja die Studenten gesehen, die Richtung Erzsébet-Brücke und Petöfi-Denkmal unterwegs waren –«
Von einer Straßenkreuzung in der Nähe ertönte eine Salve aus einer Automatikwaffe.
»Unruhe ist wohl kaum der passende Ausdruck, Wassili. Da draußen bricht gerade ein Aufstand los«, sagte Ebby.
Ein junger Ungar mit einer zerknitterten AVH-Uniform kam in den Raum gestürzt und machte atemlos auf Russisch Meldung. Wassili trat seine Zigarette aus, ging zum Fenster und blickte hinaus. Offenbar war er alles andere als begeistert von dem, was er da sah.
»Ziehen Sie sich bitte rasch an«, befahl er. »Der Mob will das Gebäude stürmen. Wir verlassen es durch den Hinterausgang.«
Ebby zog die frischen Sachen an und folgte dem Russen steifbeinig vier Treppen hinunter bis in eine Tiefgarage. Der Ungar, der Wassili vorhin die Meldung gebracht hatte, ein knochiger junger Mann mit einem nervös zuckenden Augenlid, saß schon am Steuer einer glänzenden schwarzen Zil-Limousine. Ein massiger AVH-Offizier, eine Maschinenpistole unter einem Arm, schob sich auf den Beifahrersitz. Wassili winkte Ebby auf die Rückbank und setzte sich dann neben ihn. Der Fahrer fuhr los und steuerte den Zil eine Rampe hinauf bis zu einem Metalltor, das sich langsam hob. Als die Öffnung groß genug war, trat der junge Mann das Gaspedal durch, und der Zil schoss hinaus auf eine dunkle, menschenleere Straße. An der ersten Kreuzung schlingerte der Wagen auf zwei Rädern um die Ecke. Die Scheinwerfer beleuchteten einen großen Trupp junger Leute, die mit wehenden Fahnen und erhobenen Transparenten auf sie zumarschiert kamen. Wassili schnauzte einen Befehl. Der Fahrer machte eine Vollbremsung und legte krachend den Rückwärtsgang ein. Ebby sah, wie ein junger Mann mit einem Gewehr sich hinkniete, anlegte und schoss. Der rechte Vorderreifen des Wagens platzte, und der Zil schleuderte unkontrolliert gegen einen Laternenpfahl. Sofort sprang der AVH-Offizier aus dem Wagen, ging dahinter in Deckung und feuerte ein ganzes Magazin in die Menschenmenge, die auf sie zugestürmt kam. Einige Gestalten stürzten zu Boden. Die Studenten brüllten vor Wut, als sie den Zil umzingelten. Der AVH-Mann versuchte verzweifelt ein neues Magazin in die Maschinenpistole zu schieben, wurde jedoch von zwei Gewehrschüssen niedergestreckt. Hände rissen die Türen auf und zerrten die Insassen auf die Straße. Der Fahrer, Wassili und Ebby wurden an eine Backsteinwand gepresst. Hinter sich hörte Ebby, wie Gewehre durchgeladen wurden. Er hob beide Hände vor die Augen, um sie vor den Gewehrkugeln zu schützen, und schrie in die Nacht hinein: »Ich bin Amerikaner! Ich war ihr Gefangener!«
Eine Stimme rief etwas auf Ungarisch. Im schwachen Licht der Straßenlampen sah Ebby, dass die Menge sich teilte, um jemanden durchzulassen.
Und dann
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