Die Company
er: »Wasser.«
Der stämmige Mann blickte die Frau mit den Gummihandschuhen an. Als sie mit den Achseln zuckte, ging er hinaus und kam mit einem Pappbecher Wasser zurück. Leo trank ihn gierig aus und fragte dann keuchend: »Bin ich noch in Amerika?«
Der Preisboxer lachte. »Wir sind hier auf exterritorialem Gebiet, wie der Vatikan, Kumpel – die Habeas-corpus-Akte gilt hier nicht.«
Eine der Frauen warf Leo einen weißen Pyjama und ein Paar Schlappen vor die Füße. »Ziehen Sie das an«, sagte sie mit gelangweilter Stimme.
Leo stieg in die Pyjamahose, die keinen Gummizug hatte, so dass er sie oben festhalten musste. Langsam zog er sich die Jacke an. Seine Hände zitterten so sehr, dass er Mühe hatte, die Jacke mit der freien Hand zuzuknöpfen. Schließlich erledigte der Preisboxer das für ihn. Den Bund der Pyjamahose festhaltend und in den Schlappen schlurfend, folgte Leo dem stämmigen Mann durch eine Tür und einen langen, dunklen Korridor hinunter. Am Ende des Ganges klopfte der Mann zweimal an eine Tür, holte einen Schlüssel hervor, schloss die Tür auf und trat zurück. Nervös atmend, ging Leo an ihm vorbei.
Der Raum, in dem er sich jetzt befand, war groß und fensterlos. Die Wände und die Innenseite der Tür waren mit Schaumgummi gepolstert. Drei nackte Glühbirnen baumelten an Stromkabeln von einer sehr hohen Decke. Ein Klo ohne Deckel war an einer Wand befestigt, und auf dem Boden daneben stand eine Blechtasse. Auf dem Fußboden lag eine ordentlich gefaltete, grobe Wolldecke. Mitten im Raum befanden sich zwei Stühle und ein kleiner Tisch mit einem Recorder darauf; Tisch und Stühle waren am Boden festgeschraubt. James Jesus Angleton saß an dem Tisch, den Kopf über einen aufgeschlagenen Aktendeckel mit losen Blättern gebeugt. Eine Zigarette hing ihm von den Lippen; der Aschenbecher auf dem Tisch war übervoll. Ohne aufzublicken, deutete Angleton mit der Hand auf den Stuhl gegenüber und drückte die Aufnahmetaste des Bandgeräts.
»Sie waren in Yale, Abschlussjahrgang 1950, wenn ich mich nicht irre«, sagte Angleton.
Leo ließ sich auf den Stuhl sinken, psychisch erschöpft. »Yale. 1950. Ja.«
Angleton nahm eine weitere Seite seiner Papiere, überprüfte irgendetwas, nahm wieder die vorherige Seite. »Fangen wir bei Ihrem Vater an.«
Leo beugte sich vor. »Jim, ich bin’s, Leo. Leo Kritzky. Diese Schlägertypen haben mich am Flughafen verschleppt. Sie haben mich misshandelt. Sie haben eine Leibesvisitation bei mir vorgenommen. Was geht hier vor?«
»Erzählen Sie von Ihrem Vater.«
»Jim, zum Donnerwetter …« Leo blickte auf die surrenden Spulen des Bandgeräts, fröstelte und holte tief Luft. »Der Name meines Vaters war Abraham. Abraham Kritzky. Er wurde am achtundzwanzigsten November 1896 in Wilna geboren, im jüdischen Viertel. Während der Pogrome 1910 ist er nach Amerika ausgewandert. Er hat dann in einer Näherei gearbeitet, bis 1911 in der Fabrik ein Großbrand ausbrach, bei dem einhundertfünfzig Menschen ums Leben kamen. Er konnte sich mit einer Nähmaschine auf dem Rücken nur deshalb retten, weil die Feuerwehr einen verschlossenen Notausgang aufbrach.«
»Hat ihn das Erlebnis verbittert?«
»Natürlich.«
»Hat es ihn gegen den Kapitalismus aufgebracht?«
»Wonach suchen Sie, Jim? Ich habe die ganze Prozedur durchgemacht, als ich angeworben wurde. Es gibt keine verborgenen Geheimnisse. Mein Vater war Sozialist. Er war ein Anhänger von Eugene Debs. Er ist in Debs’ Sozialistische Partei eingetreten, als sie 1918 gegründet wurde. Er war Streikposten, als Debs ins Gefängnis kam, das war, glaub ich, um 1920 herum. Er hat den Jewish Daily Forward gelesen. Er hat uns immer die Leserbriefe auf Jiddisch vorgelesen. Er war ein Mann, der für seine Überzeugungen eingetreten ist, was bis zu McCarthys Ausschuss zur Untersuchung unamerikanischer Umtriebe kein Vergehen war.«
»Sie wurden am neunundzwanzigsten Oktober 1929 geboren –«
Leo lachte laut auf. »Am Tag des großen Börsenkrachs. Wollen Sie mir den anlasten?«
»Ihr Vater hatte zu der Zeit einen kleinen Handwerksbetrieb in der Grand Street in Manhattan.« Angleton nahm eine weitere Seite auf. »Er hat Hüte hergestellt und geflickt. Der Börsenkrach hat ihn ruiniert.«
»Die Bank hat die Kredite gekündigt – er hatte das Haus in der Grand Street gekauft. Wir haben oben im Haus gewohnt. Das Geschäft war unten. Er hat alles verloren.«
»Und was ist dann passiert?«
»Kann ich einen Schluck Wasser
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