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Die Company

Die Company

Titel: Die Company Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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Blende, um den verschwommenen Effekt zu erhöhen, und machte noch einige Aufnahmen. Schließlich sagte er missmutig: »Genug für heute. Bis zum Abendessen dürft ihr noch draußen spielen.«
    Die Nichten, froh, seiner schlechten Laune zu entkommen, zogen sich ärmellose Baumwollhemden über den Kopf und stürmten Arm in Arm aus dem Raum. Starik schaltete die Jupiterlampen aus, spulte den Film zurück und steckte ihn in die Tasche. Tief in Gedanken versunken, ging er zurück in die Bibliothek und goss sich ein Glas Mineralwasser ein.
    Was sollte er von Philby halten, fragte er sich. Eigentlich mochte er den Mann; Jewgeni hatte nach seinem Besuch bei ihm gesagt, der Engländer sei ein verbitterter Trunkenbold und könne schon von seiner psychischen Verfassung her kein Tripelagent sein. Andropow dagegen war absolut überzeugt, dass Philby von Angleton umgedreht worden war, dass er jetzt für die CIA arbeitete. Wie wäre es sonst zu erklären, so Andropows Argument, dass Philby nicht verhaftet worden war? Wieso hatte man ihn aus Beirut entwischen lassen, wo er als Journalist gearbeitet hatte, nachdem die Briten eindeutige Beweise gegen ihn in der Hand hatten? Starik spürte instinktiv, dass Angleton Philbys Flucht nur recht gewesen war; vielleicht hatte er dem Engländer seine drohende Verhaftung ja sogar irgendwie gesteckt, so dass Philby den MI6-Agenten im letzten Moment entkommen konnte. Schließlich wäre es sehr unangenehm für ihn geworden, wenn Philby aller Welt von seinen Lunchverabredungen mit dem amerikanischen Spionageabwehrchef im La Niçoise erzählt hätte, von all den Staatsgeheimnissen, die er dem Mann entlockt hatte, der doch Staatsgeheimnisse hatte schützen sollen. Als Philby 1963 nach Moskau gekommen war, hatte Starik wochenlang die Informationen überprüft, die der Engländer im Laufe der Jahre nach seinen regelmäßigen Treffen mit Angleton geschickt hatte. Sie schienen alle echt zu sein, was bedeutete … ja, was bedeutete es? Wenn Angleton aus Philby tatsächlich einen Tripelagenten gemacht hätte, wäre er doch wohl so clever gewesen, ihn weiter mit echten Geheimnissen zu versorgen, damit der KGB keinen Verdacht schöpfte. Genau das machte Starik seit Jahren: Es gehört nun mal zu dem großen Spiel, falsche Überläufer mit richtigen Geheimnissen und richtige Überläufer mit falschen Geheimnissen auf die andere Seite zu schicken.
    Starik trank einen Schluck Mineralwasser und schlüpfte durch die schmale Tür in der Holzvertäfelung in sein kleines Sanktuarium. Er öffnete den Wandsafe hinter dem Lenin-Porträt, nahm den altmodischen Karteikasten aus Eiche heraus, auf dessen Deckel in kyrillischer Schrift die Worte Sowerscheno Sekretno und CHOLSTOMER standen, und stellte ihn auf den kleinen Tisch. Er öffnete den Kasten und holte aus einer dicken Akte das Telegramm hervor, das ihm am Abend zuvor in die Apatow-Villa gebracht worden war. Der KGB-Resident in Rom informierte das Direktorat S über Gerüchte, die in italienischen Bankkreisen kursierten; der Patriarch von Venedig, Kardinal Albino Luciani, ging angeblich Berichten nach, dass die Vatikanbank, bekannt als Institut für religiöse Werke, in Geldwäschetransaktionen verstrickt sei. Luciani, der als Nachfolger von Papst Paul VI. gehandelt wurde, war offenbar darüber informiert worden, dass ein römischer Staatsanwalt seit vierzehn Jahren eine Geldwäsche-Operation mit dem Decknamen CHOLSTOMER untersuchte, und er hatte zwei Priester, die sich mit Buchhaltung auskannten, beauftragt, die handschriftlichen Rechnungsbücher zu überprüfen, die im Archiv des Instituts für religiöse Werke Staub ansetzten.
    Starik blickte besorgt von dem Telegramm auf. Zum Glück stammte einer der beiden Priester aus einer toskanischen Familie mit guten Beziehungen zur Kommunistischen Partei Italiens; der Resident in Rom, der eng mit den italienischen Kommunisten zusammenarbeitete, würde herausfinden können, was für Informationen die Priester an Albino Luciani schickten.
    Falls der Patriarch von Venedig der Flamme zu nahe kam, musste er verbrannt werden. CHOLSTOMER durfte unter keinen Umständen gefährdet werden. Angesichts der in Amerika herrschenden Rezession und Inflation wollte Starik die Gunst der Stunde nutzen und KGB-Chef Andropow seinen Plan unterbreiten; falls er von ihm grünes Licht bekam, war die nächste Hürde das geheime, aus drei Mitgliedern bestehende Komitee des Politbüros, das für die Prüfung von Geheimdienstoperationen zuständig

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