Die Company
von zwei Gängen schaute er sich um, als hätte er die Orientierung verloren, und verschwand am Ende eines Seitengangs durch eine Tür. Er wartete, um zu sehen, ob jemand ihm folgte, ging dann einen weiteren Gang entlang und durch eine Tür, die als Notausgang auf eine kleine Straße hinter dem GUM führte. Er sah auf seine Uhr – ihm blieben noch Eineinviertelstunden bis zu seinem ersten verabredeten Treffen mit Kukuschkin im Puschkin-Museum. Er mischte sich unter eine Gruppe deutscher Touristen und schlenderte über den Roten Platz. Die Deutschen blieben stehen, um sich die Wachablösung am Grab des unbekannten Soldaten anzusehen. Dicht an der Kremlmauer entlang setzte Manny seinen Weg in südlicher Richtung fort. Als er den Borowistkaja-Turm am Ende der Mauer erreichte, überquerte er rasch den stark befahrenen Boulevard und tauchte hinunter in die Metrostation Borowistkaja an der Lenin-Bibliothek. An einem Automaten kaufte er zwei Fahrkarten – falls AE/PINNACLE nicht im Puschkin-Museum erschien, würde Manny mit der Metro zum zweiten Treffpunkt fahren. Er musste einmal umsteigen, und als er an der Station Kropotkinskaja unweit des Puschkin-Museums nach draußen in den Nieselregen trat, hatte er noch eine Dreiviertelstunde totzuschlagen. Um sich zu vergewissern, dass er nicht verfolgt wurde, streifte er durch ein Labyrinth nahezu menschenleerer Straßen hinter dem Museum, das er schließlich eine halbe Stunde später betrat. Er kaufte eine Eintrittskarte und ging durch die Ausstellungsräume. Dann und wann blieb er stehen, um einen Picasso oder Cézanne zu bewundern. Punkt zwölf betrat er den Raum mit Bildern von Bonnard und nahm die Werke eines nach dem anderen in Augenschein. Falls Kukuschkin kam, würden sie sich hier treffen.
Als der Russe um halb eins noch nicht aufgetaucht war, sah Manny sich in den angrenzenden Räumen um. Keine Spur von AE/PINNACLE. Um Viertel vor eins kam er zu dem Schluss, dass der erste Treffpunkt hinfällig war. Er ging zurück zur Metrostation Kropotkinskaja und fuhr mit dem zweiten Ticket in südlicher Richtung. An der Station Sportiwnaja stieg er aus und ging zum Kloster Nowodjewitschi, wo er der Umfriedungsmauer nach links folgte, bis er den Friedhof erreichte. Vom Haupteingang aus spazierte er über die Kieswege, blieb an dem einen oder anderen Grab stehen, um die Inschrift zu lesen. Er bemerkte zwei junge Pärchen, die ein Stück rechts von ihm am Grabstein von Stalins Frau Nadeschda Allilujewa standen. Manny ging an den Gräbern von Bulgakow, Stanislawski, Tschechow und Gogol vorbei und gelangte wieder auf den Hauptweg, der zum Eingang führte, schritt aber in die entgegengesetzte Richtung auf das Grab von Nikita Chruschtschow zu. Zwischen den Grabsteinen erspähte er drei Männer, die sich auf einem Parallelweg unterhielten, sowie zwei jüngere Männer, die, mit Papier und Kohlestiften bewaffnet, die Inschriften von einigen alten Gräbern kopierten. Keiner von ihnen schien von ihm Notiz zu nehmen. An Chruschtschows Grab blickte Manny auf die Büste des 1971 verstorbenen Politikers; sein rundes ukrainisches Bauerngesicht starrte in die Ferne, ein Hauch von Verbitterung in den Lachfältchen um die Augen.
»Er war der Erste, der die Verbrechen von Stalin öffentlich angeprangert hat«, sagte eine Stimme. Erschreckt fuhr Manny herum. Sergei Kukuschkin tauchte hinter einem schwarzen Marmorgrabstein auf. Er trug einen hellen Regenmantel, seine Haare waren zerzaust und glänzten vom Regen, und er sah abgespannter aus, als Manny ihn in Erinnerung hatte. Er sagte: »Ich habe gewusst, dass Sie kommen würden, Manny. Danke dafür.«
»Was ist in Washington passiert, Sergei?«
»Als ich in unsere Wohnung zurückkam, waren meine Frau und meine Tochter beim Packen. Mein Schwiegervater hatte einen Schlaganfall gehabt und lag im Kremlhospital auf der Intensivstation. Ein Wagen von der Botschaft wartete schon, um sie zum New Yorker Flughafen auf die Freitagsmaschine zu bringen. Wenn wir die Abreise verschoben hätten, wäre das verdächtig gewesen. Am nächsten Morgen erhielt ich ein Telegramm vom Ersten Direktorat: Elenas Vater war vor ihrem Eintreffen gestorben, und man gab mir die Erlaubnis, sofort nach Moskau zur Beerdigung zu fliegen. Natürlich durfte ich auch diesmal nicht zögern. Mein Resident war sehr rücksichtsvoll – er hat persönlich die Ausgabe der harten Devisen für das Scandinavian-Airline-Ticket veranlasst –, also war ich überzeugt, dass auch er nicht
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