Die Company
Schicksal teilten.
In den Tagen darauf begab sich Leo immer wieder zu seinem Mitgefangenen, der mit endloser Geduld an der Wand klebte. Er flüsterte ihm aufmunternde Worte zu und beobachtete die Botschaften der Körpersprache des Falters. Halte durch, sei stark, schien er ihm zu sagen, sie würden beide der Zelle entrinnen.
Angleton entging die Veränderung seines Gefangenen nicht. Kritzky brachte ab und zu ein verschwörerisches Lächeln zustande, als verberge er ein köstliches Geheimnis, und die Wortgefechte mit Angleton bereiteten ihm offenbar geradezu Spaß. Leos Moral schien von Tag zu Tag zu wachsen. »Stimmt, manche Operationen, mit denen ich zu tun hatte, sind schief gelaufen«, räumte er eines Morgens ein. »Aber Jim, das war doch bei Ihnen nicht anders, aber niemand verdächtigt Sie, ein sowjetischer Maulwurf zu sein.« Leo warf einen kurzen Blick auf den Falter und musste plötzlich lachen. Das Lachen wurde stärker, haltlos, bis ihm Tränen die Wangen hinabliefen. »Vielleicht –«, sagte er, sich vor Lachen schüttelnd. »Vielleicht sollte das ja mal einer tun … Ich meine, das wäre doch der größte Witz des Jahrhunderts, wenn James Jesus Angleton … in Wirklichkeit SASHA wäre. Könnte doch sein, dass Sie das ganze Theater hier … o Mann, ich krieg mich nicht mehr ein … die Jagd auf SASHA nur veranstalten … um von sich selbst abzulenken.« Leo hielt sich den Bauch vor Lachen und schnappte nach Luft. »Wäre das nicht ein Witz, Jim? Mein Gott, wäre das nicht zum Brüllen?«
6 Ruf dem Weg in die Sowjetunion,
Samstag, 10. August 1974
D
i e reguläre Freitagsmaschine der Aeroflot nach Moskau hatte wegen des hohen Start- und Landeaufkommens erst mit einer Dreiviertelstunde Verspätung abheben können. Fast alle der rund fünfzig Passagiere an Bord der Tupolew 144, die meisten Mitglieder von Mannys Touristengruppe, schliefen tief und fest. Manny, der in einem Russlandreiseführer geblättert hatte, stand auf und schlenderte zur Bar, wo er ein Sandwich und einen Plastikbecher Kwass bestellte.
»Was passiert denn jetzt wohl, wo Nixon abgedankt hat?«, fragte der Steward, der ihn bediente. »Gibt’s einen Putsch?«
Manny lachte. »Wohl kaum«, sagte er. »Gerald Ford hat schon den Amtseid geleistet. So eine Übergangsregierung ist bei uns verfassungsmäßig geregelt.« Er biss in das Sandwich und fragte mit vollem Mund: »Was würde in Russland passieren, wenn Breschnew morgen abdanken würde?«
»Wieso sollte Genosse Breschnew abdanken?«
»Sagen wir, wenn er sich was Ähnliches geleistet hätte wie Nixon mit der Watergate-Affäre.«
Jetzt musste der Steward lachen. »So was wäre bei uns ausgeschlossen«, sagte er dann ernst. »Da es keine politische Opposition gibt, müsste die Kommunistische Partei schon bei sich selbst einbrechen lassen. Sie kennen sich wohl nicht so gut aus mit der Sowjetunion – ist das Ihr erster Besuch?«
»Ja.«
»Wo genau kommen Sie her?«
»New York. Genauer gesagt, Manhattan. Noch genauer gesagt, Upper West Side.«
Die Company hatte Manny eine rundum abgesicherte Tarnidentität verschafft: Führerschein, Kundenkarte eines Supermarkts auf der Upper West Side, American-Express-Travellerschecks und einen abgegriffenen, drei Jahre alten Pass mit Stempeln von Reisen nach England, Spanien und Mexiko, alles auf den Namen Immanuel Bridges. Sollte jemand nachforschen wollen, würde er einen Immanuel Bridges im Manhattaner Telefonbuch mit der Adresse Broadway Ecke 82 nd Street finden, und wenn er die Nummer wählte, den Anrufbeantworter erreichen. Manny, der einmal ein Seminar in Betriebswirtschaftslehre absolviert hatte, würde sich als Unternehmensberater ausgeben, mit einem Büro in der Wall Street 44, wo eine freundliche Sekretärin allen Anrufern mitteilen würde, dass Mr. Bridges in Urlaub sei. Sollte jemand im Sekretariat von Yale nachfragen, würde er erfahren, dass ein gewisser Bridges, Immanuel, 1968 seinen Abschluss in Betriebswirtschaft gemacht hatte. Sogar die Mitgliedskarte des Fitnessstudios, die Manny in der Brieftasche hatte, war abgesichert; wenn jemand in dem Studio auf dem Upper Broadway anrief, würde er eine barsche Stimme sagen hören: »Moment – ich seh mal nach, ob er da ist.« Kurz darauf würde die Stimme wieder an den Apparat kommen. »Nein, er ist nicht da – aber ein Freund von Mr. Bridges sagt, er ist für eine Woche verreist.«
Um 12.25 Ortszeit setzte die Tupolew zum Landeanflug auf den Moskauer Flughafen Scheremetjewo
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