Die Company
direkt in den obersten Stock des Gebäudes, wo ein junger Mann mit Bürstenhaarschnitt gerade damit beschäftigt war, eine Uzi zu reinigen. Der Mann hob ein Handgelenk vor den Mund und flüsterte etwas, lauschte dann auf die Antwort, die blechern aus einem Mikro in seinem Ohr ertönte. Hinter ihm öffnete sich eine weitere Tür, und Jack gelangte in einen großen Raum mit Betonwänden und langen, schmalen Fensterschlitzen. Der Rabbi humpelte am Stock auf Jack zu, um ihn zu begrüßen.
»Wir sind uns mal in Berlin begegnet«, sagte der Rabbi.
»Wie schmeichelhaft, dass Sie sich an mich erinnern«, erwiderte Jack.
Ben Ezra deutete mit dem Stock auf ein Ledersofa und ließ sich selbst mühevoll auf einen Stahlstuhl mit gerader Lehne nieder. »Um die schreckliche Wahrheit zu sagen, ich kann mich nicht mehr so gut an Gesichter erinnern, aber ich vergesse niemals, wem ich mal einen Gefallen getan habe. Sie waren damals verantwortlich für einen Ostdeutschen mit dem Decknamen SNIPER, der sich als ein Physikprofessor namens Löffler entpuppte. Ha, ich sehe ihnen am Gesicht an, dass ich den Nagel auf den Kopf getroffen habe. Löffler hat ein böses Ende genommen. Genau wie seine Kurierin RAINBOW.« Er schüttelte niedergeschlagen den Kopf. »Die jungen Leute heute wissen nicht mehr, dass Berlin ein Schlachtfeld war.«
»Es hat damals auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs viele Verluste gegeben«, gab Jack zu. »Als wir uns in Berlin kennen lernten, waren Sie anders gekleidet –«
Ben Ezra wiegte bedächtig den Kopf. »Außerhalb von Israel kleide ich mich ultraorthodox. Das ist eine Art Verkleidung. Innerhalb von Israel kleide ich mich ultramodern, was meinen Geschäftsanzug erklärt. Kann ich Ihnen ein Glas frisch gepressten Mangosaft anbieten? Einen Jogurt vielleicht? Tee, mit oder ohne Eis?«
»Tee, mit, gern.«
»Gern«, bestätigte Ben Ezra. »Zwei Tee, mit«, brüllte er in den Nebenraum, wo etliche Leute an einem Küchentisch zu sehen waren. Hinter ihnen ratterten unermüdlich zwei Fernschreiber. Der Rabbi konzentrierte sich auf seinen amerikanischen Gast. »Also, was führt Sie ins Gelobte Land, Mr. Jack?«
»Ein Verdacht.«
»Das hat mir der Zauberer bereits am Telefon erzählt. Er hat gesagt, Sie hätten da ein ziemliches Problem.«
Eine dunkelhäutige junge Frau, ganz in Khaki gekleidet, stellte zwei Gläser Tee mit klickenden Eiswürfeln darin auf den Couchtisch. Am Rand jedes Glases steckte eine Orangenscheibe. Sie sagte etwas auf Hebräisch, deutete auf ihre Armbanduhr und ging wieder. Ben Ezra kratzte sich nachdenklich das stopplige Kinn. Er nahm die Orangenscheibe vom Glas und saugte daran. »Vielleicht erzählen Sie dem Rabbi, was Ihnen so schwer im Magen liegt.«
Jack begann die Ereignisse bis zu dem plötzlichen Rückruf von Sergei Klimow (alias Kukuschkin) nach Moskau zu schildern.
»Wir haben jemanden hinterhergeschickt, der mit ihm Kontakt aufnehmen sollte –«
»Aha, langsam dämmert’s mir«, sagte der Rabbi. »Das war dieser Witzbold ohne diplomatische Immunität. Euer Kontaktmann wurde festgenommen, Klimow-Kukuschkin vor Gericht gestellt und exekutiert, ihr habt euren Mann auf der Glienicker Brücke gegen den NSA-Maulwurf ausgetauscht.« Ben Ezra deutete auf den Eistee. »Trinken wir, bevor er warm wird.« Er hob sein Glas an die Lippen. » L’chaim – auf das Leben«, sagte er und nahm einen geräuschvollen Schluck. »Sie denken, der Prozess und die Exekution dieses Klimow-Kukuschkin könnten fingiert gewesen sein?«
»Wir haben keinen Lügendetektortest mit ihm gemacht«, antwortete Jack.
»Ich verstehe nicht, wie ich ihnen helfen kann.«
»Hören Sie, Angleton ist überzeugt, dass Kukuschkin exekutiert wurde, weil er dann genauso echt ist wie die Informationen, die er uns gegeben hat. Ihr habt doch Möglichkeiten in Moskau, von denen wir nur träumen können. Ich habe mir gedacht, es könnte nicht schaden, sich die Sache noch einmal genauer anzusehen. Wenn Kukuschkin exekutiert wurde, dann muss es irgendwo ein Grab geben, dann muss es eine trauernde Ehefrau geben, die sich mit ihrer Tochter gerade so über Wasser hält.«
»Und wenn er nicht exekutiert wurde, wenn das Ganze reines Theater war, dann muss Klimow-Kukuschkin sich irgendwo weiter seines Lebens erfreuen.«
»Genau.«
»Wo sollte man Ihrer Meinung nach mit den Nachforschungen anfangen?«
»Kurz bevor die beiden festgenommen wurden, hat Kukuschkin unserem Mann erzählt, er wohne mit seiner Familie in einem
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