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Die Company

Die Company

Titel: Die Company Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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auf den Dollar hätte gute Aussichten, die Krise zu beschleunigen und die Wirtschaft in eine Rezessionsspirale zu stürzen, von der sie sich nicht mehr erholen würde. Obendrein war der einzige Amerikaner, der die sowjetischen Absichten hätte aufdecken können, diskreditiert und in den Ruhestand geschickt worden. Die Voraussetzungen, CHOLSTOMER zu starten, könnten nicht günstiger sein.
    Breschnew hatte in einem Korbrollstuhl gesessen, eine Wolldecke bis unter die Arme, einen kleinen Heizstrahler an den Füßen und einen pelzgefütterten Morgenmantel bis zum Hals zugeknöpft, und hatte sich geduldig angehört, was Starik zu sagen hatte. Dann hatte er langsam den massigen Kopf geschüttelt. Chruschtschow habe durch die Stationierung von Mittelstreckenraketen auf Kuba versucht, die Amerikaner zu destabilisieren, rief der Generalsekretär seinem Besucher in Erinnerung. Starik wusste so gut wie er, wie die Episode ausgegangen war. John Kennedy hatte sich bis an den Rand eines Krieges gewagt, und ein gedemütigter Chruschtschow hatte die Raketen wieder abziehen müssen. Das Politbüro – Breschnew in vorderster Front – hatte die entsprechenden Konsequenzen gezogen und Chruschtschow zwei Jahre später in den Ruhestand geschickt.
    Breschnew hatte den Heizstrahler mit dem Fuß beiseite gestoßen und war mit dem Rollstuhl hinter seinem riesigen Schreibtisch hervorgekommen, auf dem sieben Telefone und ein klobiges englisches Diktafon standen. Seine buschigen Augenbrauen wölbten sich vor Konzentration und die Hängebacken zuckten nervös, als er Starik mitteilte, dass er nicht vorhabe, wie Chruschtschow zu enden. Er habe sorgfältig über CHOLSTOMER nachgedacht und sei zu der Überzeugung gekommen, dass ein wirtschaftlich geschwächtes Amerika auf einen Versuch, den Dollar zu attackieren, wie eine in die Enge getriebene Katze reagieren würde: Washington würde einen Krieg mit der Sowjetunion provozieren, um die amerikanische Wirtschaft zu retten. Schließlich, so hatte er Starik belehrt, habe der Große Krieg die amerikanische Wirtschaft aus der großen Depression nach dem Börsenkrach im Jahre 1929 gerettet. Wenn die Wirtschaft angekurbelt werden musste, so meinten die Amerika-Experten im Kreml, würden die Kapitalisten stets zum Mittel des Krieges greifen.
    Breschnew hatte CHOLSTOMER nicht endgültig begraben. Vielleicht würde er in fünf oder sieben Jahren, wenn die Sowjetunion ihre Vergeltungsschlagkraft so weit ausgebaut hatte, dass sie die USA von einem Erstschlag abschrecken könne, das Projekt noch einmal überdenken. Jedenfalls war es von Vorteil, so einen Trumpf in der Hand zu haben, und wenn auch nur, um die Amerikaner daran zu hindern, die sowjetische Wirtschaft auf ähnliche Weise anzugreifen.
    Starik stellte die Zeituhr des Vergrößerungsgeräts auf sieben Sekunden, belichtete das Fotopapier und tauchte es in den Entwickler. Augenblicke später kamen die Details zum Vorschein. Zuerst die Nasenlöcher, dann die Augen- und Mundhöhlen, schließlich die knospenden Brustwarzen. Starik nahm den Abzug heraus und legte ihn ins Fixierbad. Er betrachtete die Vergrößerung kritisch und war mit dem Resultat einigermaßen zufrieden.
    Fotografieren und Geheimdienstoperationen hatten seltsamerweise vieles gemein. Bei beiden ging es darum, das Bild zu visualisieren, bevor man es machte, dann musste man versuchen, ein Ergebnis zu erzielen, das dem, was man sich vorgestellt hatte, möglichst nahe kam. Dazu bedurfte es unendlicher Geduld. Starik tröstete sich mit dem Gedanken, dass sich seine Geduld auch bezüglich CHOLSTOMER auszahlen würde. Breschnews Zeit würde irgendwann ablaufen. Er hatte zu Anfang des Jahres eine Reihe kleinerer Schlaganfälle gehabt und wurde seitdem rund um die Uhr ärztlich betreut. Andropow, Leiter des KGB und Mitglied des Zentralkomitees, hatte Starik bereits anvertraut, dass er sich als Breschnews Nachfolger sah. Und Andropow war ein glühender Befürworter von CHOLSTOMER.
    Der erste Dezember-Schneesturm heulte draußen vor den Fenstern, als Starik sich am Abend auf das große Bett setzte, um den Nichten ihre Gutenachtgeschichte vorzulesen. Eine einzige Kerze brannte auf dem Nachttisch. Starik hielt die zerfledderte Seite in das flackernde Licht und las die letzten Zeilen eines weiteren Kapitels. » Alice rannte ein Stück in den Wald hinein und blieb dann unter einem großen Baum stehen. › Hier kann sie mir nichts anhaben‹, dachte sie , › dazu ist sie viel zu groß, als dass sie sich

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