Die Company

dieses Regierungssystem, das ist die Sowjetunion.«
    Die Atmosphäre schien plötzlich zu knistern, so heftig waren ihre Gefühle, fast so, als würde ein Liebespaar sich trennen. »Und wann hast du angefangen, dein Land zu verraten, Leo?«
    »Ich habe mein Land nie verraten, ich habe für eine bessere Welt gekämpft. Meine Bindung an die Sowjetunion reicht zurück bis Yale. Jewgeni war damals kein KGB-Agent, als er mit uns zusammenwohnte, aber wie alle Russen im Ausland war er ein inoffizieller Talentsucher. Er erzählte seinem Vater von mir – und der war KGB-Agent. Er hat ihm erzählt, dass meine Familie während der Weltwirtschaftskrise alles verloren hatte, dass mein Vater vor Verzweiflung von der Brooklyn Bridge gesprungen ist, dass ich von meinem Vater den alttestamentarischen Glauben übernommen hatte, dass das, was man besitzt, den Bedürftigen geraubt worden ist.«
    »Und dann?«
    »Jewgenis Vater hat den New Yorker Residenten verständigt, der wiederum eine amerikanische Kommunistin namens Stella Bledsoe beauftragte, mich anzuwerben.«
    »Deine Freundin Stella!« Jack blickte zu dem gerahmten Schwarzweißfoto an der Wand, das 1950 nach dem Ruderwettkampf zwischen Harvard und Yale aufgenommen worden war. Er konnte die Inschrift nicht entziffern, aber da er selbst sie geschrieben hatte, erinnerte er sich an den Text: Jack & Leo & Stella nach dem Rennen, aber vor dem Sündenfall. Jetzt sagte er verächtlich: »Ich weiß noch, wie Stella in jener Nacht in mein Zimmer geschlichen kam –«
    »Sie hat sich in dein Zimmer geschlichen und mit dir gevögelt, damit ich einen plausiblen Grund hatte, mit ihr Schluss zu machen. Die Moskauer Zentrale wollte mehr Abstand zwischen Stella und mir, für den Fall, dass das FBI ihre Verbindung zu den Kommunisten entdeckte.«
    Jack zerrte wütend an seiner Fessel. »Was war ich doch für ein Vollidiot, dass ich dir vertraut habe.«
    »Stella riet mir damals, ich sollte mich bemühen, in die Rudermannschaft aufgenommen zu werden. Die Zentrale wusste nämlich, dass Coach Waltz ein Talentsucher für die neue CIA war. Den Rest kennst du ja, Jack. Du warst dabei, als er uns angeworben hat.«
    Jack blickte abrupt auf. »Was ist mit Adelle? War sie auch geplant ?«
    Leo wandte sich ab. »Adelle ist der Teil der Geschichte, bei dem ich mich am unwohlsten fühle«, gab er zu. »Die Zentrale wollte, dass ich ins Washingtoner Establishment einheirate, um meine Karriere voranzutreiben und um noch weitere Informationsquellen aufzutun. Die Residentur hat Adelle mehr oder weniger ausgesucht, weil sie für Lyndon B. Johnson arbeitete, aber auch weil ihr Vater reich und mächtig war und im Weißen Haus verkehrte. Man hat dafür gesorgt, dass unsere Wege sich kreuzten.«
    »Aber ihr habt euch doch zufällig beim Tierarzt kennen gelernt«, erinnerte sich Jack.
    Leo nickte traurig. »Sie sind in Adelles Wohnung eingebrochen und haben ihre Katze aus dem Fenster geworfen. Ich habe mir einen alten Hund aus dem Tierheim besorgt und ihm Rattengift zu fressen gegeben, damit er krank wurde. Dann bin ich zu ihrem Tierarzt, weil ich wusste, dass Adelle mit ihrer Katze kommen würde. Wenn das nicht geklappt hätte, wäre uns eine andere Möglichkeit eingefallen, wie ich ihr über den Weg hätte laufen können.«
    Jack schüttelte fassungslos den Kopf. »Du tust mir fast Leid, Leo.«
    »Die Wahrheit ist, dass ich mich dann doch in sie verliebt habe«, sagte Leo. »Und meine Töchter sind mein ein und alles …« Dann stieß er heftig hervor: »Ich habe nie auch nur einen Penny genommen, Jack. Ich habe meinen Hals für den Frieden riskiert, für eine bessere Welt. Ich habe kein Land verraten – meine Loyalität gilt größeren Zusammenhängen … einer internationalen Sicht der Dinge.«
    »Nur der Vollständigkeit halber, Leo, erklär mir doch bitte diese AE/PINNACLE-Farce. Kukuschkin war ein falscher Überläufer – aber war es nicht etwas riskant, dich zu beschuldigen, du wärst SASHA? Wir hätten ihm glauben können.«
    »Ganz einfach«, sagte Leo. »Angleton war dabei, seinen Kreis von Verdächtigen immer mehr einzuengen. Er hat die gescheiterten und die geglückten Operationen überprüft und alle Mitarbeiter, die damit zu tun hatten. Mein Name tauchte allzu häufig auf. Die Zentrale – oder genauer gesagt, mein Führungsoffizier – fand, dass Angleton allmählich gefährlich wurde, also hat er AE/PINNACLE inszeniert, um Angleton dazu zu bringen, mich offen zu beschuldigen. Kukuschkin wäre so oder