Die Company
offen lassen, damit jeder eventuelle Beobachter sah, dass er völlig arglos war.
Jewgeni schnitt ein Stück Pizza ab und zwang sich, es zu essen, während er sich den Schluss eines Films im Fernsehen ansah. Er zog seinen Pyjama an, putzte sich die Zähne, machte das Licht in den anderen Zimmern aus und ging in das kleine Schlafzimmer. Er setzte sich ins Bett und tat eine Viertelstunde lang so, als lese er noch ein bisschen. In Wahrheit verschwammen ihm die Buchstaben vor den Augen, und das Pochen in der Stirn ließ ihn kaum einen klaren Gedanken fassen. Er gähnte, legte das Buch weg, zog seine Armbanduhr auf und stellte den Wecker. Dann tappte er zum Fenster und ließ die Jalousie ganz herunter. Als er wieder im Bett war, schaltete er die Nachttischlampe aus.
In der Dunkelheit kamen ihm die nächtlichen Geräusche von draußen überlaut vor. Etwa alle Viertelstunden hörte er den Bus von der Broad Street, zwei Querstraßen weiter. Irgendwann nach Mitternacht nahm er wahr, wie ein Garagentor geöffnet wurde und ein Auto losfuhr. Kurz vor halb eins rief der Nachbar von nebenan seinem Hund zu, er solle doch endlich sein Geschäft erledigen, zum Donnerwetter noch mal. Jewgeni lag reglos da, bis der Leuchtzeiger des Weckers auf drei Uhr vorrückte. Dann zog er sich leise an, behielt aber die Schuhe in der Hand und ging auf Socken ins Bad. Er betätigte die Klospülung, für den Fall, dass die Wohnung abgehört wurde – und während das Wasser rauschte, öffnete er ein kleines Fenster, das auf das Schrägdach des Geräteschuppens hinter der Garage ging, und schob sich hinaus. Er schlich vorsichtig bis zum Rand und kletterte das Spalier an der Schuppenwand hinunter. Unten angekommen, zog er seine Schuhe an, blieb im Schatten hocken und lauschte. Die Nacht war kalt; nach jedem Atemzug stieß er eine kleine Dampfwolke aus. Schließlich erhob Jewgeni sich und ging im Schatten des hohen Holzzauns, der die Grenze zum Nachbargrundstück bildete, bis zum Ende des Gartens. Dort kletterte er über den Zaun und schob sich seitlich durch einen engen Gang zwischen zwei Garagen. Auf halber Höhe tastete er nach dem beschädigten Ziegelstein, zog ihn heraus, griff in den Hohlraum und nahm das in mehrere Plastiktüten eingewickelte Päckchen heraus.
Zwanzig Minuten später trottete Jewgeni irgendwo in der Broad Street in einen Drugstore, der die ganze Nacht geöffnet hatte. Er bestellte einen Kaffee und ging nach hinten zu den Münztelefonen. Er hatte Aidas neue Telefonnummer weggeworfen, aber die Anschrift behalten: Corcoran Street Nummer 47. Er rief die Auskunft an und ließ sich die Nummer geben. Er wählte und hörte das Rufzeichen. Nach mehrmaligem Klingeln meldete sich eine atemlose Aida.
»Wer ist denn da?«, wollte sie wissen.
Jewgeni wusste, dass ihr Telefon abgehört wurde. Aber das spielte keine Rolle, wenn er nicht so lange mit ihr sprach, dass sein Anruf zurückverfolgt werden konnte. Nichts spielte mehr eine Rolle. »Ich bin’s, Aida.«
Er hörte ein ängstliches Keuchen. »Es muss etwas Schlimmes passiert sein, dass Sie um diese Zeit anrufen«, flüsterte Aida.
»Ja. Es ist etwas Schlimmes passiert.«
»Oh!«
»Ich muss auflegen, bevor sie den Anruf zurückverfolgen.«
»So schlimm also?«
»Sie sind eine wunderbare Lady, eine großartige Kämpferin, eine Heldin. Ich habe große Hochachtung vor Ihnen.« Jewgeni wollte noch nicht auflegen. Inbrünstig sagte er: »Ich wünschte, ich könnte irgendetwas für Sie tun.«
»Das kannst du. Leg rasch auf. Flieh, mein lieber junge. Rette dich. Und vergiss mich nicht, ich werde dich auch nicht vergessen.«
Aida legte auf. Jewgeni lauschte einige Sekunden lang auf das Freizeichen, dann hängte er den Hörer ein und stakste mit unsicheren Schritten zurück zur Theke, wo sein Kaffee wartete. Er sah auf die Armbanduhr. Er musste noch zweieinhalb Stunden totschlagen, bevor er sich mit SASHA an der vereinbarten Stelle traf.
Eigentlich hätte Aida verängstigt sein müssen, doch das einzige Gefühl, das sich bei ihr einstellte, war Erleichterung. Nach all den Jahren war es endlich vorbei. Sie klemmte einen Stuhl unter den Wohnungstürknauf und ging durch den Flur in die enge Küche. Sie klemmte einen Stuhl unter den Küchentürknauf, stopfte den Spalt unter der Tür mit Zeitungspapier zu und drehte am Herd die vier Gasbrenner und den Backofen auf. Sie hob Silvester aus dem Korb, setzte sich an den kleinen Tisch und begann, seinen Nacken zu kraulen. Sie lächelte, als
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