Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Company

Die Company

Titel: Die Company Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
Vom Netzwerk:
waren nur noch drei andere Frühaufsteher da, als Jewgeni neben Leo auf der letzten Bank Platz nahm. Einen Moment lang sagte keiner von beiden ein Wort. Dann flüsterte Leo heiser: »Wir haben immer gewusst, dass es irgendwann enden würde.«
    »Es war ein langer Kalter Krieg«, sagte Jewgeni. Er musste an Aida Tannenbaum denken.
    Leo griff nach unten, öffnete die Reisetasche zwischen seinen Füßen und reichte Jewgeni ein kleines Paket. »Das hatte ich seit Jahren im Schrank – Verkleidungsutensilien der Company. Wir werden als Geistliche fliehen – da drin sind schwarze Hemden, weiße Kragen, ein Bärtchen für mich, ein grauer Vollbart für dich, Perücken, Brillen. Dein eigener Bruder würde dich nicht wieder erkennen.«
    »Mein eigener Bruder hat mich kaum wieder erkannt, als ich auf Heimaturlaub in Moskau war«, bemerkte Jewgeni. Er zog einen Umschlag aus der Manteltasche. »Pässe, Führerscheine und Bargeld«, sagte er.
    »Wir ziehen uns in der Sakristei um«, sagte Leo. »Wenn wir Glück haben, konzentriert die Company sich bei der Suche auf meinen Chevrolet. Wir fahren mit der U-Bahn zum Greyhound-Terminal, nehmen einen Bus bis Baltimore, dann den Zug nach Buffalo, wo wir die Grenze nach Kanada überqueren. Ich hab eine Notfalladresse in Toronto. Da können wir bleiben, bis sie uns auf einem Frachter rausschmuggeln.«
    »Was hast du mit deinem Auto gemacht?«, fragte Jewgeni.
    »Das hab ich im Parkhaus am Flughafen abgestellt. Bis sie das finden, sind wir längst über alle Berge.«
    Jewgeni fragte: »Irgendeine Ahnung, wie sie uns auf die Spur gekommen sind?«
    Leo sah keine Notwendigkeit, seine Töchter zu erwähnen, und antwortete nur knapp: »Sie sind deiner polnischen Freundin auf die Spur gekommen.«
    Jewgeni schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Sie hat so sehr gebettelt, dass wir uns nur ein einziges Mal treffen –«
    »Geschehen ist geschehen. Sie haben ein Foto von dir gemacht. Jack hat dich wieder erkannt. Er ist zu mir gekommen und hat es mir gezeigt.«
    »Was hast du mit Jack gemacht?«
    »Mit Handschellen an die Heizung gefesselt.«
    »Aber wenn er dir das Foto zeigen wollte«, flüsterte Jewgeni, »hatte er doch keinen Verdacht, dass du SASHA bist.«
    »Ich hab’s ihm gesagt«, erwiderte er. »Ich hatte einfach keine Lust mehr.«
    »Da steckt doch bestimmt mehr dahinter …«
    »Reagan und das Pentagon planen keinen atomaren Erstschlag, Jewgeni«, erklärte Leo müde. »Andropow täuscht sich. Und ich will nicht erleben, wie Starik und Andropow die ganze Welt ins Unglück stürzen.«
    »Du warst von vornherein gegen CHOLSTOMER. Das hab ich dir angemerkt.«
    »Der Kalte Krieg geht zu Ende, und unsere Seite verliert ihn. Die Sowjetwirtschaft steht vor dem Zusammenbruch. CHOLSTOMER ist einfach sinnlos – Staaten ins wirtschaftliche Chaos zu stürzen, die Dritte Welt zurück ins Mittelalter zu stoßen, zig Millionen Menschen Leid zuzufügen. Wozu? Ich begreife das nicht.«
    »Unsere Seite war die Bessere«, sagte Jewgeni ausdruckslos. »Wir sind die Guten, Leo. Ich glaube noch immer, dass das sozialistische System trotz all seiner schrecklichen Fehler ein besseres Modell für unseren Planeten ist als alles, was der Westen zu bieten hat. Der Kapitalismus ist in sich dekadent – er appelliert an das Schlechte im Menschen.«
    Leo sah Jewgeni aus brennenden Augen an. »Hast du nie Zweifel gehabt?«
    »Nur einmal«, gab Jewgeni zu. »Als ich mich mit Philby in Gettysburg getroffen habe, um ihm zu sagen, dass er abhauen soll. Er hat sich geweigert. Er meinte, solange er kein Geständnis ablegt, könnten sie ihm kein Haar krümmen. Das waren seine Worte. Ihm kein Haar krümmen. Der Satz ist mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Er hat eine Frage aufgeworfen, die ich einfach nicht stellen wollte, weil ich Angst vor der Antwort hatte.«
    »Beantworte sie jetzt.«
    »Das System, für das Philby spioniert hat, hätte keine Probleme gehabt, jemandem wie Philby ein Geständnis zu entlocken«, gestand Jewgeni.
    »Das System, für das Philby spioniert hat, hätte gar kein Geständnis gebraucht, um ihn in einen Keller der Lubjanka zu schleifen und mit Genickschuss zu erledigen«, sagte Leo.
    »Die sozialistische Revolution war vom ersten Tag an von Feinden umgeben«, sagte Jewgeni. »Es war ein Kampf auf Leben und Tod gegen skrupellose Gegner –«
    Leo fiel ihm ins Wort. »Wir haben uns zu viele Entschuldigungen zurechtgelegt. Wir rechtfertigen die eigenen Fehler und verdammen die unserer

Weitere Kostenlose Bücher