Die Company
endloser Geduld, während sie erwog, ob die Vibrationen, die sie wahrgenommen hatte, Gefahr signalisierten. Schließlich wagte sie eine zögerliche Bewegung, krabbelte dann flink über das unsichtbare Netz und verschwand in der sicheren Höhle der Sprechanlage.
Ben Ezras knochentrockene Lippen verzogen sich. Seine Zeit ging zu Ende. Bald würde auch er über ein unsichtbares Netz krabbeln, ganz langsam, die Hüften mit jedem schmerzhaften Schritt vor und zurück schiebend, und in der sicheren Höhle des Landes verschwinden, das Gott der Herr den Nachfahren Abrahams geschenkt hatte.
Die Sirene auf dem Wachturm des KGB-Komplexes im Dorf Maschkino ertönte wie immer um Punkt zwölf Uhr mittags. In dem kleinen, klimatisierten Besprechungsraum im ersten Stock des Gebäudes starrte der KGB-Chef Wladimir Krjutschkow grimmig zum Fenster hinaus. Hinter ihm leierte die Stimme von Fjodor Lomow, Apparatschik im Außenministerium, der aus der Akte vorlas, die ein Kurier zusammen mit Fotos am Vormittag gebracht hatte.
Die Israeli-Abteilung des Zweiten Direktorats ließ seit längerer Zeit ein jüdisches Ehepaar überwachen, das in einem kleinen Laden in einer Seitenstraße vom Arbat orientalische Teppiche verkaufte und in der Vergangenheit für den israelischen Mossad geheime Wohnungen besorgt und Nachrichten übermittelt hatte. Das Überwachungsteam hatte in einer leer stehenden Wohnung schräg gegenüber von dem Teppichladen Posten bezogen und fotografierte systematisch jeden, der den Laden betrat. Die Fotos wurden dann abends entwickelt und am nächsten Morgen zur Israeli-Abteilung des Zweiten Direktorats gebracht. Als die Fotos an diesem betreffenden Morgen noch ausgewertet wurden, war Juri Sukhanow, der griesgrämige Leiter des Neunten Direktorats, der zum Kern der Verschwörer um Krjutschkow gehörte, mit einem beunruhigenden Foto hereingekommen, das der Dresdner Resident per Kurier an die Moskauer Zentrale geschickt hatte. Es zeigte einen alten Mann, der an zwei Stöcken zu einer von Bodyguards umringten Limousine ging. Dresden hatte den alten Mann unter Vorbehalt als Ezra Ben Ezra identifiziert, den berüchtigten Rabbi und seit sieben Jahren Leiter des israelischen Mossad. Neben ihm ging eine korpulente Gestalt, die die Dresdner Residentur nicht hatte identifizieren können – aber Sukhanow, ein erfahrener KGB-Offizier, dessen illustre Karriere Mitte der Fünfzigerjahre in der Karlshorst-Residentur in Ostberlin begonnen hatte, hatte ihn auf der Stelle erkannt: Der Mann neben Ben Ezra war kein anderer als der alte Freund des Rabbi, der legendäre ehemalige Chef der Berliner CIA-Basis, H. Torriti alias der Zauberer. Die Fragen, die natürlich allen auf den Lippen brannten, waren: Warum traf sich der Mossad-Chef mit Harvey Torriti in Dresden? Hatte ihr Treffen möglicherweise etwas mit den Geldern zu tun, die der Devisenbeschaffer auf die Dresdner Filiale der Großen Russischen Handelsbank transferierte? Oder schlimmer noch, mit dem plötzlichen Verschwinden des Devisenbeschaffers?
Während das Thema noch erörtert wurde, fiel Sukhanows Blick auf den Drahtkorb, in dem die Fotos von nicht identifizierten Personen abgelegt wurden. Geistesabwesend hatte er die Aufnahmen durchgesehen, die sich darin befanden, und plötzlich eine ins Licht gehalten. »Wo habt ihr das Foto her?«, hatte er aufgeregt gefragt. Der Dienst habende Offizier erklärte, es sei tags zuvor von dem Team geschossen worden, das ein jüdisches Ehepaar überwache, das ab und zu für den Mossad Aufträge erledige. »Aber das ist doch derselbe Mann, der mit dem Rabbi in Dresden fotografiert wurde! Der Amerikaner Torriti«, hatte der Leiter des Neunten Direktorats gerufen. Sukhanow war nicht wohl bei dem Gedanken, dass Torriti erst in Dresden und dann in Moskau war – es konnte nur bedeuten, dass die CIA, ohne ihre Moskauer Dienststelle zu informieren, einen alten Profi in die sowjetische Hauptstadt geschmuggelt hatte. Und das konnte wiederum nur bedeuten, dass die Amerikaner von dem geplanten Putsch Lunte gerochen hatten.
Auf schnellstem Weg waren deshalb die Fotos von Ben Ezra und Torriti in Dresden und Torriti in Moskau zum KGB-Komplex in Maschkino befördert worden. Krjutschkow war verständigt worden, der eiligst einen Kriegsrat einberufen hatte. Lomow, der immer noch aus der Akte vorlas, kam schließlich zum Ende. Verteidigungsminister Jasow, der gemeinsam mit Innenminister Pugo ursprünglich auf Mitte August als Termin für den Staatsstreich
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