Die Company
bestand, dass der Gefangene ihnen wegsterben könnte. »Achtzehn Stunden Stress ist selbst für ein gesundes Herz eine lange Zeit«, sagte der Arzt. »Er macht zwar einen absolut gefassten Eindruck, aber sein Herz schlägt allmählich schneller, was darauf schließen lässt, dass er nicht so ruhig ist, wie es den Anschein hat. Ein Herzinfarkt wäre nicht auszuschließen.«
»Wie viel Zeit haben wir noch?«
Der Arzt zuckte die Achseln. »Da bin ich genauso überfragt wie Sie.«
Die Antwort ärgerte Ben Ezra. »Nein. Sie sind der Fachmann. Deshalb sind Sie hier.«
Der Arzt ließ sich nicht einschüchtern. »Wenn Sie auf der sicheren Seite bleiben wollen, lassen Sie ihn eine Nacht schlafen und machen Sie morgen früh weiter.«
Der Rabbi wog die Alternativen ab. » Beseda «, sagte er widerwillig. »So soll es geschehen.«
»Dieses Haus birgt für mich viele Erinnerungen«, sagte Jewgeni. Er ließ den Blick über die Landschaft schweifen, die vom Dach der Apatow-Villa aus zu sehen war. »Als ich das erste Mal hier war – das war, bevor wir uns auf der Datscha-Party meines Vaters kennen gelernt haben –, hatte ich gerade meinen Universitätsabschluss in Amerika in der Tasche und keinen Schimmer, was ich mit meinem Leben anfangen sollte.«
»Weißt du’s jetzt?«, fragte Asa mit ihrer üblichen Direktheit.
Jewgeni lächelte. »Ja.«
Sie erwiderte sein Lächeln. »Es schmerzt mich, lieber Jewgeni, wenn ich an all die Jahre denke, die wir vergeudet haben.«
Er legte ihr einen Arm um die Schultern und zog sie an sich.
»Wir holen die verlorene Zeit nach.«
»Wir können die verlorene Zeit nicht nachholen«, sagte sie. »Wir können höchstens hoffen, nicht noch mehr Zeit zu verlieren.«
Sie schlenderte hinüber zur südöstlichen Ecke des Daches. Jewgeni folgte ihr. »Dort, wo die Mietshäuser und die Müllverwertungsanlage stehen«, sagte er, »war mal ein kleiner Birkenhain.« Er schirmte die Augen mit einer Hand ab. »Und da hinter den Feldern war mal ein geheimer Flugplatz. Dort ist meine Maschine gelandet, als ich aus Amerika nach Hause kam. Der Flugplatz ist vor fünf Jahren geschlossen worden.« Jewgeni hielt sich an der Balustrade fest und blickte hinab zum Eingang der dreistöckigen Villa. »Als ich das erste Mal die Kieseinfahrt hochkam, spielten zwei kleine Mädchen auf einer Wippe – sie waren die Nichten des Mannes, den ich hier besucht habe.«
»Der Mann in der Klinik?«, fragte Asa. »Der Mann, über den du nicht reden willst?«
Jewgeni, der tief in Gedanken zum Horizont blickte, gab keine Antwort.
»Mir ist heiß«, sagte Asa unvermittelt. »Komm, wir gehen wieder in den Raum, der klimatisiert ist.«
In der holzgetäfelten Bibliothek im ersten Stock gab Jewgeni ihr ein Glas eisgekühltes Mineralwasser. Asa nahm ein besticktes Taschentuch aus einer kleinen Handtasche, tauchte es zur Hälfte in das Glas und betupfte sich damit den Nacken. »Können wir hier sicher reden?«
»Ich lasse die Räume regelmäßig nach Wanzen absuchen.«
»Was hat das Treffen ergeben?«
»Walentin Warennikow – Befehlshaber der sowjetischen Bodentruppen – hat berichtet, dass die Dserschinski-Division des KGB zusammen mit Einheiten der Kantemirow-Division und dem Taman-Garderegiment wichtige Stellen in der Stadt besetzen wird – den Fernsehturm Ostankino, Zeitungsredaktionen, Brücken, Bahnhöfe, Kreuzungen an den Hauptverkehrsadern, die Universität –, und zwar am ersten September. Zur gleichen Zeit dringen im Schutz der Nacht Einheiten der Rjasan-Luftlandedivision in Moskau ein, um nötigenfalls Widerstandsnester auszuheben. Der KGB hat zweihundertfünfzigtausend Paar Handschellen gehortet, Formulare für dreihunderttausend Haftbefehle drucken und zwei Stockwerke im Gefängnis Lefortowo räumen lassen und die Gehälter verdoppelt. Verteidigungsminister Jasow und Innenminister Pugo drängen auf einen früheren Termin für den Putsch – sie halten Mitte August für günstiger, wenn Gorbatschow auf der Krim Urlaub macht. Doch Krjutschkow und General Warennikow haben eingewandt, dass ein früherer Termin als der erste September größere Risiken birgt, da nicht genug Zeit für logistische Vorbereitungen und taktische Befehle wäre. Außerdem benötigt der deutsche Devisenbeschaffer mehr Zeit, um die Gelder über Banken in Deutschland und Österreich auf meine Bank in Dresden zu schleusen, damit ich sie nach Moskau transferieren und den Verschwörern zur Verfügung stellen kann.«
»Dann findet der
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