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Die Company

Die Company

Titel: Die Company Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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abgetragenen Sakkos hoch und machte sich auf den Weg zum Arbat.
     
    Der Rabbi zog mit einem seiner Gehstöcke das Kästchen der Sprechanlage näher heran, damit er jedes Wort mitbekam. Er hielt den Atem an und lauschte, doch er hörte nur Totenstille. Dann erfüllte ein Mark und Bein durchdringendes Wimmern den Raum, wie nur unerträgliche Schmerzen es hervorrufen können. Ben Ezra zuckte zusammen: Er musste sich in Erinnerung rufen, dass der Zweck nun mal die Mittel heiligte, dass der Zweck, Hunderttausenden von Juden weiterhin die Auswanderung aus Russland zu ermöglichen, die Folter eines Mannes rechtfertigte, der an einer Verschwörung beteiligt war, die der Emigration ein Ende bereiten wollte.
    Wie lautet die geheime Kennnummer, die Zugang zu dem Konto ermöglicht?
    Als der Devisenbeschaffer nicht sogleich antwortete, ertönte ein leises Summen wie von einem Rasierapparat über den Lautsprecher. Dann detonierten Worte wie eine Serie Feuerwerkskörper.
    Bitte-nicht-bitte-aufhören-ich-rede-ja!
    Es reicht, sagte eine Stimme. Schalt das Ding aus.
    Das Summen erstarb.
    Unter Schluc hzen und Wimmern folgten die Zahlen. Sieben-acht-vier-zwei, dann das Wort Wolke, dann neun-eins-eins.
    Der Rabbi notierte die Zahlen und das Wort auf einen Block. Sieben-acht-vier-zwei, dann Wolke, dann neun-eins-eins. Er holte tief Luft und blickte auf. Es galt in der Welt der Spionage als Tatsache, dass jeder früher oder später zusammenbrach. Ben Ezra wusste von Juden, die während einer Mission geschnappt worden waren und strikte Anweisung hatten, möglichst lange durchzuhalten, damit die anderen aus ihrem Netzwerk fliehen konnten; manchmal hatten sie der Folter zwei, zweieinhalb Tage standgehalten, manchmal waren sie früher zusammengebrochen. Der eigene Sohn des Rabbi war Mitte der Siebzigerjahre in Syrien gefasst worden und hatte nach vierunddreißig Stunden Folter geredet – worauf hin man ihn gewaschen hatte, ihm einen weißen Pyjama angezogen und ihn an einem grob zusammengehämmerten Galgen aufgehängt hatte. Der Deutsche hatte mehr erduldet als die meisten; sein Zorn auf Juden hatte seine Schmerzen zum Teil gelindert. Aber er war zusammengebrochen. Jetzt musste sich zeigen, ob die Zahlen stimmten – und wenn ja, wovon der Rabbi ausging, mussten sie die Gelder des Devisenbeschaffers auf die verschiedenen Schweizer Bankkonten umleiten und Jack McAuliffe die verabredete Meldung senden, dass die Schmutzarbeit getan war.
    Alles Weitere lag beim Zauberer.
    Ben Ezra hatte die Nachricht des Zauberers am Abend zuvor erhalten: Der Putsch war für den 1. September geplant. Von einem abhörsicheren Telefon in einem safe house des Mossad aus hatte der Rabbi sogleich Jack McAuliffe in Washington verständigt; als zusätzliche Vorsichtsmaßnahme hatte er die Botschaft verklausuliert. Unser gemeinsamer Freund, so hatte Ben Ezra gesagt, erinnert uns daran, dass wir unsere Bewerbungen bis zum ersten September einreichen müssen, sonst haben wir keine Hoffnung auf ein Stipendium; das ist der letzte Termin. Der erste September, hatte Jack am anderen Ende der Leitung erwidert, ist ziemlich knapp, um von acht oder zehn wichtigen Personen in Moskau eine Empfehlung zu erhalten; glaubt unser gemeinsamer Freund, er kann uns vor dem endgültigen Termin mit diesen Leuten in Verbindung bringen? Er hat alle Hebel in Bewegung gesetzt, hatte der Rabbi geantwortet. Er rechnet damit, die acht oder zehn Empfehlungen spätestens in der letzten Augustwoche parat zu haben. Das wird ziemlich eng, hatte Jack entgegnet; irgendeine Möglichkeit, die Sache zu beschleunigen? Empfehlungen von acht oder zehn Leuten in mehr oder weniger derselben Zeit zu bekommen ist kompliziert, hatte Ben Ezra Jack zu bedenken gegeben. Und aus nahe liegenden Gründen muss es gleich beim ersten Mal klappen, eine zweite Chance haben wir nicht. Okay, hatte Jack widerwillig gesagt, ich bin mit der letzten Augustwoche einverstanden. Jetzt, da er an einem Tisch in dem Büro im obersten Stock der Fleischfabrik saß, drehte der Rabbi die Gegensprechanlage um und stöpselte das Kabel aus. Er spähte durch die dicken Gläser seiner Brille, die Augen glasig von dem Schmerz, der sein ständiger Begleiter war, und sah in dem hinten offenen Gehäuse eine kleine, rot-schwarze Spinne über so feine Fäden tanzen, dass sie mit bloßem Augen nicht zu erkennen waren. Die Spinne, die in der Luft zu hängen schien, erstarrte, als Ben Ezra einen der Fäden mit dem Daumennagel berührte. Sie wartete mit

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