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Die Company

Die Company

Titel: Die Company Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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jüngeren Bruder Grinka. Er lief ihm entgegen und umarmte ihn stürmisch. Tsipins Haushälterin, eine schlanke Usbekin mittleren Alters mit den zarten Gesichtszügen eines Vogels, servierte den beiden Gästen gerade am Fenster zakuski. Sie stieß einen Seufzer purer Freude aus, als sie Jewgeni sah. Sie rief etwas auf Usbekisch, zog seinen Kopf nach unten und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn und auf beide Schultern.
    Jewgeni sagte: »Hallo, Njura.«
    »Gott sei Dank, dass du lebend aus Amerika zurück bist«, stieß sie hervor. »Man sagt, die Städte sind in den Händen bewaffneter Gangster.«
    »Unsere Journalisten neigen dazu, das Schlimmste zu sehen«, erwiderte er lächelnd. Er küsste sie auf beide Wangen, woraufhin sie den Kopf beugte und rot wurde.
    »Njura hat Jewgeni während des Krieges praktisch aufgezogen, während seine Mutter und ich in der Türkei stationiert waren«, erklärte Tsipin seinen Gästen.
    »Ich war kurz vor dem Krieg wegen eines Geheimauftrags ein paar Tage in Istanbul«, sagte der Ältere der beiden. »Ich habe die Stadt als chaotisch in Erinnerung.«
    Jewgeni fiel auf, dass der Gast Russisch mit deutschem Akzent sprach. »Ich wäre für mein Leben gern mit meinen Eltern nach Istanbul gegangen«, sagte er, »aber die Türkei war damals ein Zentrum internationaler Intrigen – es gab Entführungen, sogar Morde –, und es war sicherer für mich, mit Njura und Grinka in Alma-Ata zu bleiben.«
    Tsipin machte seinen Sohn und die Gäste miteinander bekannt. »Jewgeni, darf ich vorstellen, Martin Dietrich. Genosse Dietrich, das ist mein ältester Sohn, der erst kürzlich von seiner Universität in Amerika zurückgekehrt ist. Und das ist Pawel Semjonowitsch Shilow, kurz Pascha, ein sehr guter Freund von mir seit ewigen Zeiten. Pascha ist bei den Genossen –«
    »Vielleicht haben Sie ja das Glück, selbst einer zu werden«, sagte Dietrich förmlich zu Jewgeni.
    »– als Starik bekannt.«
    Jewgeni gab beiden Männern die Hand, legte dann einen Arm um seinen jüngeren Bruder und musterte die Gäste seines Vaters. Martin Dietrich war eher klein, untersetzt, Anfang fünfzig, mit blassem Teint, müden, humorlosen Augen und Narben von einer Hauttransplantation auf den Wangen. Pascha Semjonowitsch Shilow, ein großer, gertenschlanker Mann, sah aus, als stammte er aus einem anderen Jahrhundert und fühlte sich im gegenwärtigen etwas fehl am Platz. Er war Mitte bis Ende dreißig, hatte den spärlichen grauen Bart eines Popen und grüblerische Augen, die sich leicht verengten und einen mit beunruhigender Eindringlichkeit fixierten. Seine Fingernägel waren dick und lang und kantig geschnitten, wie die Bauern es taten. Er trug eine ausgebeulte Hose und ein grobes weißes Hemd, dessen breiter, offener Kragen eine wunderbar gearbeitete Silberkette sehen ließ. Eine dunkle Bauernjacke fiel ihm bis zu den Knien. Während er dastand, knackte er geröstete Aprikosensteine aus Samarkand mit den Daumennägeln und steckte die Kerne in den Mund. An seinem Revers waren ein halbes Dutzend kleine seidene Bänder befestigt, und Jewgeni sagte mit nur leicht spöttischem Unterton: »Sie sind offenbar ein großer Kriegsheld. Vielleicht erzählen Sie mir irgendwann, welche Geschichten sich hinter Ihren Orden verbergen.«
    Starik, der eine bulgarische Zigarette paffte, beäugte den Sohn seines Gastgebers. »Entgegen dem Anschein lebe ich nicht in der Vergangenheit«, sagte er ausdruckslos.
    »Allein dadurch unterscheiden Sie sich von allen anderen in Russland«, sagte Jewgeni. Er nahm sich eine mit Kaviar bestrichene Brotscheibe. »Starik – der alte Mann –, so wurde Lenin doch von den Genossen genannt, nicht wahr? Wie kommen Sie zu so einem Namen?«
    Jewgenis Vater antwortete. »Lenin wurde so genannt, weil er zur Zeit der Revolution sehr viel älter war als die anderen um ihn herum. Pascha heißt so, weil es schon lange bevor er sich den Bart wachsen ließ, wie Tolstoi geredet hat.«
    Mit einem frechen Grinsen fragte Jewgeni: »Und worüber reden Sie, wenn Sie wie Tolstoi reden?«
    Sein Vater versuchte, das Thema zu wechseln. »Wie war dein Flug von Amerika, Jewgeni?«
    Starik winkte ab. »Schon gut, Alexander Timofejewitsch. Neugierige junge Männer sind mir lieber als solche, die mit einundzwanzig bereits alles zu wissen glauben.«
    Er bedachte Jewgeni zum ersten Mal mit einem verhaltenen Grinsen; Jewgeni wusste es zu deuten – es war der rätselhafte Ausdruck eines Menschen, der das Leben für ein

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