Die Company
runden Gesicht blickte über die Schulter.
»Wie lange dauert die Fahrt?«, rief Jewgeni. Der Mann ließ dreimal fünf Finger hochschnellen und drehte sich wieder um.
Jewgeni lehnte sich zurück in das kühle Leder des Sitzes und schaute sich zum Zeitvertreib die Leute auf der Straße an. Er musste daran denken, wie er sich als Kind immer gefreut hatte, wenn sein Vater mit ihm und Grinka einen Ausflug in seinem Wolga machte. Chauffiert wurde die Limousine von einem uniformierten Milizsoldaten, einem dunklen, schlitzäugigen Mann mit einem birnenförmigen Gesicht, der den Jungen die Tür aufhielt. Wenn sie hinter den Vorhängen an den Scheiben des Wagens hervorlugten, spielten Jewgeni und sein Bruder, dass sie Helden von Mütterchen Russland wären, die Genosse Stalin persönlich ausgezeichnet hatte, und ab und zu winkten sie den Bauern auf der Straße nach Peredelkino, wo sein Vater eine Datscha besaß, gebieterisch zu. Jetzt, in dem Zil, drückte der Fahrer auf die Hupe, um die Fußgänger von der Straße zu scheuchen. An Ampeln verlangsamte der Wagen zwar das Tempo, hielt aber nicht an, da Milizsoldaten den Verkehr zum Stehen brachten, sobald sie den Zil kommen sahen.
Nach einer Weile bog die Limousine in ein schmales Sträßchen, an dessen Beginn ein Schild mit der Aufschrift »Studienzentrum – Zutritt verboten« stand, und sie fuhren drei oder vier Minuten durch einen Birkenwald. Zwischen den Bäumen erblickte Jewgeni eine kleine, verlassene Kirche, Tür und Fenster wie klaffende Löcher, die einzige zwiebelförmige Kuppel schief. Der Wagen schwenkte in eine Zufahrt, die mit feinem weißen Kies bestreut war, und hielt vor einem kleinen Backsteingebäude. In beide Richtungen erstreckte sich, so weit das Auge reichte, ein hoher Maschenzaun, der oben mit Stacheldraht verstärkt war. Zwei sibirische Huskys liefen an langen Stricken, die an Bäumen befestigt waren, hin und her. Ein Armeeoffizier trat an das hintere Seitenfenster des Wagens. Ein Soldat mit einer PPD-34 unter dem Arm stand hinter gestapelten Sandsäcken und sah zu. Jewgeni kurbelte das Fenster so weit herunter, dass er dem Offizier Stariks Visitenkarte durchreichen konnte. Ein heißer Wind blies in den Fond des Wagens. Der Offizier sah auf die Karte, gab sie zurück und winkte den Fahrer durch. Am Ende der Kieszufahrt ragte eine dreistöckige Villa aus vorrevolutionären Zeiten auf. Neben dem Haus kreischten zwei barfüßige Mädchen in kurzen kittelähnlichen Kleidern vor gespielter Panik auf einer Wippe. In der Nähe raste ein weißbraun geschecktes Pferd mit herabhängenden Zügeln. Ein junger Mann in einem eng sitzenden Anzug, von den Wachen am Tor verständigt, wartete an der offenen Tür, die Arme gewichtig vor der Brust verschränkt, die Schultern gegen die Hitze hochgezogen. »Bitte folgen Sie mir«, sagte er, als Jewgeni die Stufen hochkam. Er ging durch eine mit Marmor ausgelegte Diele voraus, eine geschwungene Treppe hinauf, klopfte zweimal an eine Tür im ersten Stock, öffnete sie und trat zurück, um Jewgeni vorbeizulassen.
Pascha Semjonowitsch Shilow saß vor einem Ventilator am Fenster und las zwei kleinen Mädchen, die sich auf einem Sofa zusammengerollt hatten, aus einem schmalen Buch vor. Starik hielt inne, als er Jewgeni erblickte. »Komm, weiterlesen, Onkel«, flehte eines der Mädchen. Das andere lutschte schmollend am Daumen. Ohne auf die Mädchen einzugehen, schritt Starik seinem Besucher entgegen und drückte ihm die Hand. Hinter Jewgeni schloss sich die Tür.
»Haben Sie eine Ahnung, wo Sie hier sind?«, fragte Starik, der Jewgeni am Ellbogen packte und ihn durch eine Tür in ein großes Wohnzimmer steuerte.
»Ich habe keine Ahnung«, gab Jewgeni zu.
»Ich darf Ihnen sagen, dass Sie südwestlich der Stadt in der Nähe des Dorfes Tscherjomuski sind. Das Grundstück war ursprünglich zigtausend Hektar groß und gehörte der Familie Apatow, bevor es Anfang der Zwanzigerjahre von der Tscheka übernommen wurde und seitdem als geheimer Schlupfwinkel dient.«
Er bedeutete Jewgeni mit dem Kopf, ihm zu folgen, und ging durch einen Billardraum in ein Esszimmer mit einem großen, ovalen Tisch, der mit erlesenem Porzellan und tschechischen Gläsern gedeckt war. »Die Villa ist in drei Wohnungen unterteilt – eine wird von Viktor Abakumow genutzt, dem Leiter unserer Organisation SMERSCH. Die Zweite steht dem Minister für innere Sicherheit, Genosse Beria, zur Verfügung. Er kommt hierher, wenn er der Hektik in Moskau entfliehen
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