Die Company
Schott vergaß. »Sie wollen uns einschüchtern.«
Mit aschfahlem Gesicht und zerfurchter Stirn kam Oskar allein in den Raum zurück. »Sehr schlechte Nachrichten«, verkündete er. »In Berlin hat es eine Konfrontation gegeben. Es sind Schüsse gefallen. Auf beiden Seiten wurden Soldaten getötet. Unser Politbüro hat eurem Präsidenten Truman ein Ultimatum gestellt: Wenn ihr eure Truppen nicht binnen zwölf Stunden aus Berlin abzieht, betrachten wir uns als im Kriegszustand.«
Ein halbes Dutzend Matrosen kam hereingepoltert. Einige trugen Zementsäcke, andere leere Farbeimer. Ein weiterer brachte einen Schlauch in den Raum, eilte dann wieder hinaus, um ihn an einen Wasserhahn auf der Toilette anzuschließen. Oskar schüttelte verzweifelt den Kopf. »Bitte glauben Sie mir – ich wollte es nicht so weit kommen lassen«, sagte er mit dumpfer Stimme. Er nahm die Sonnenbrille ab; seine hervorquellenden Augen glänzten vor emotionaler Erregung. »Die wir bisher entführt haben, denen haben wir zwar Angst eingejagt, aber am Ende haben wir sie laufen lassen.«
Tränen rannen Millicent über das Gesicht, und sie zitterte jetzt unkontrolliert trotz der drückenden Hitze im Raum. Ebby hörte einen Moment lang auf zu atmen und geriet dann in Panik, als er plötzlich nicht mehr wusste, wie er weiteratmen sollte.
Wasser tröpfelte aus dem Schlauch, und die Matrosen schlitzten die Papiersäcke auf und fingen an, die vier Farbeimer mit Zement zu füllen. Oskar sagte: »Ich bitte Sie, ich flehe Sie an, geben Sie mir irgendetwas, damit ich Ihnen das Leben retten kann. Wenn Sie CIA-Rekruten sind, kann ich den Befehl rückgängig machen, ich kann darauf bestehen, dass wir Sie mit nach Lettland nehmen, damit unsere Experten Sie verhören. Aber ich kann Sie nur retten, wenn Sie reden.«
»Ich rede –«, stieß Millicent hervor.
Oskar stach mit einem Finger in die Luft, und einer von den Matrosen band das Seil los, mit dem sie an den Stuhl gefesselt war. Krampfartig zitternd, ließ sie sich auf die Knie sinken. »Ja, ja, es stimmt … wir alle … mich hat man an der Uni angeworben … weil ich gut aussehe, weil ich Italienisch kann … für das Seminar von Craw …« Ihre Stimme erstarb, dann holte sie tief Luft, und Namen und Daten und Orte sprudelten nur so aus ihr heraus. Als Oskar sie unterbrechen wollte, presste sie die Handflächen auf die Ohren und redete weiter, schilderte bis ins kleinste Detail, was im Seminar behandelt worden war. »Ich kann noch mehr erzählen, viel mehr. Ich sollte sie anlocken, Geld, Schmeicheleien, sie vögeln, der Einarmige, sein Name ist Andrews, aber, o Gott, ich weiß nicht mehr, ob das der Vor- oder Nachname ist.«
Oskar wollte sie erneut unterbrechen, aber wieder flehte sie:
»Lassen Sie mich weitererzählen, bitte, bitte –«
Dann blickte sie auf und sah durch ihre Tränen hindurch Mr. Andrews in der Tür stehen, mit gequält flackernden Augen, und sie verstummte, schluckte schwer und schrie: »Sie Scheißkerl … Sie verdammter Scheißkerl«, ließ sich dann nach vorn fallen und schlug mit dem Kopf gegen die Planken, bis Oskar und einer der Matrosen sie zurückhielten.
Als Leo sah, wie Mr. Andrews den Blick von Millicents halbnacktem Körper abwandte, fiel ihm plötzlich ein, was er am letzten Seminartag im Kurs über Verhörmethoden gesagt hatte; er hörte förmlich Mr. Andrews’ Stimme. »Glauben Sie mir, ich spreche aus Erfahrung, wenn ich sage, dass jeder gebrochen werden kann, innerhalb von sechs Stunden. Höchstens. Ohne Ausnahme. Jeder. « Das hässlich vernarbte Gesicht von Mr. Andrews hatte einen unglaublich traurigen Ausdruck angenommen. »Seltsamerweise zerbricht man nicht am Schmerz – man gewöhnt sich so sehr an das Geheul der eigenen Stimme, dass man sich nicht mehr erinnern kann, wie es ohne Schmerz ist. Nein, man zerbricht nicht am Schmerz, sondern an der Angst. Und es gibt zig Methoden, jemandem Angst einzuflößen. Wenn Sie sich nicht brechen lassen wollen, haben Sie nur eine einzige Wahl: Beachten Sie das elfte Gebot der Geheimdienstarbeit – lassen Sie sich nie, niemals schnappen.«
Eine Manöverkritik fand nicht statt, zumindest nicht offiziell. Die Nachricht von der fingierten Entführung machte die Runde, was in der Absicht der Company lag; es sollte unmissverständlich klar sein, dass moralische Grundsätze in der Welt der Spionage keinen Platz hatten. Leo erfuhr, dass Millicent Pearlstein in eine Privatklinik der Company gebracht worden war.
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