Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Company

Die Company

Titel: Die Company Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
Vom Netzwerk:
durchaus eine aktivere Rolle im sowjetischen Geheimdienst gespielt haben, als sein Sohn sich vorstellte.
    Doch noch ein anderes Rätsel beschäftigte Jewgeni: Wer war der stille Deutsche, der sich Martin Dietrich nannte und aussah, als wäre sein Gesicht verbrannt gewesen – oder operativ verändert worden? Und mit welchem Dienst für das Vaterland hatte er sich das Band über der Brusttasche verdient, das ihn ebenfalls als Helden der Sowjetunion auswies?
    Beim Cognac im Wohnzimmer entspann sich eine Diskussion darüber, was die vermeintlich unbesiegbaren Deutschen beim Angriff auf die Sowjetunion gestoppt hatte. Grinka, der Geschichte und Marxismus an der Leningrader Universität studierte, sagte: »Das Gleiche, das Napoleon aufgehalten hat – russische Bajonette und der russische Winter.«
    »Weder noch«, sagte Shilow. »Es waren unsere Spione; von ihnen haben wir erfahren, welche Vorstöße der Deutschen Scheinangriffe und welche echt waren; von ihnen haben wir erfahren, wie groß die Benzinvorräte für ihre Panzer waren, so dass wir ausrechnen konnten, wie weit sie damit kamen; von ihnen haben wir erfahren, dass die Wehrmacht, weil sie davon ausging, mit der Roten Armee kurzen Prozess machen zu können, kein Winteröl für die Panzer mitgebracht hatte, was bedeutete, dass sie mit Beginn des Winters gefechtsuntauglich sein würden.«
    Jewgeni spürte, wie die Wärme des Cognacs ihm in die Brust drang. »Eins verstehe ich bis heute nicht: Das Vaterland hatte im Großen Vaterländischen Krieg zwanzig Millionen Opfer zu beklagen, trotzdem erinnern sich diejenigen, die an dem Blutbad teilgenommen haben, wehmütig daran zurück.«
    »Das ist wie bei den osmanischen Sultanen«, erwiderte Starik. »Sie räkelten sich auf Kissen in ihren luxuriösen Gartenpavillons in Istanbul, mit Bogenschützenringen am Daumen, die sie an lang zurückliegende Schlachten erinnerten.« Sein großer Kopf drehte sich langsam in Jewgenis Richtung. »In gewisser Weise erfüllen die Bänder, die wir alten Kämpfer des Großen Vaterländischen Krieges am Revers tragen, die gleiche Funktion wie diese Ringe. Wenn unsere Erinnerungen an die heroische Zeit verblassen, haben wir immer noch unsere Orden.«
    Später, während er auf den Fahrstuhl wartete, sprach Starik leise mit seinem Gastgeber. Als die Fahrstuhltür aufging, drehte sich Shilow nach Jewgeni um und reichte ihm beiläufig eine Visitenkarte. »Ich lade Sie zum Tee bei mir ein«, murmelte er. »Vielleicht erzähle ich Ihnen bei der Gelegenheit ja doch die Geschichte, die sich hinter einem meiner Orden verbirgt.«
    Wenn das Abendessen ein Test gewesen war, so wusste Jewgeni, dass er ihn bestanden hatte. Fast gegen seinen Willen war er fasziniert von diesem ungepflegten Mann. Und zu seiner eigenen Überraschung hörte er sich sagen: »Es ist mir eine Ehre.«
    »Morgen Nachmittag um halb fünf.« Starik fragte nicht, er informierte. »Hinterlassen Sie bei Ihrem Vater, wo Sie sein werden und ich schicke Ihnen einen Wagen. Die Visitenkarte dient als laissez-passer bei den Wachsoldaten am Tor.«
    »Das Tor von was?«, fragte Jewgeni, doch Starik war bereits im Aufzug verschwunden.
    Jewgeni drehte die Visitenkarte um, als Grinka sie ihm aus der Hand riss. »Er ist general polkownik – Generaloberst – beim KGB«, sagte er mit einem Pfiff. »Was er wohl von dir will?«
    »Vielleicht will er, dass ich in die Fußstapfen unseres Vaters trete«, erwiderte Jewgeni.
    »Dass du Diplomat wirst!«
    »Warst du das denn, Vater?«, fragte Jewgeni mit einem unverschämten Lächeln.
    »Ich war ein Diener meines Landes«, entgegnete der ältere Tsipin gereizt. Dann drehte er sich abrupt um und verließ das Zimmer.
     
    Jewgeni brachte seinen Bruder zum Bahnhof und ging dann über den Komsomolskaja-Platz zu dem Kiosk mit dem roten Ziegeldach und wartete im Schatten. Als die Bahnhofsuhr vier schlug, hielt vor ihm eine schwarze Zil-Limousine mit glänzendem Chrom und getönten Scheiben. Die Fenster waren geschlossen, was bedeutete, dass das Auto klimatisiert war. Ein rundgesichtiger Mann mit Sonnenbrille ließ die Seitenscheibe herunter.
    »Kommen Sie von –«, setzte Jewgeni an.
    »Schon gut«, sagte der Mann ungeduldig. »Steigen Sie ein.«
    Jewgeni stieg hinten ein. Der Zil fuhr ein Stück auf dem Ring und brauste dann auf der Kaluga-Straße zur Stadt hinaus in Richtung Südwesten. Jewgeni klopfte an die dicke Trennscheibe zwischen sich und den beiden Männern auf den Vordersitzen. Der Mann mit dem

Weitere Kostenlose Bücher