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Die Comtessa

Die Comtessa

Titel: Die Comtessa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Schiewe
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angewidert. »Bin ich denn umzingelt von Trotteln und Vollidioten?«
    ***
    Raimon war zu schwach, um sich selbst in den Sattel zu ziehen. Mit vereinten Kräften stemmten und zerrten sie ihn aufs Pferd, wobei er schrie, wenn sie auch nur in die Nähe seiner Wunde kamen.
    Sie beschlossen, den Arm unbeweglich am Körper festzubinden, und aus Furcht, er könnte vom Pferd fallen, betteten sie ihn vornübergebeugt auf weiche Felle, so dass er über Schulter und Hals des Tieres ruhte. Lederriemen verzurrten sie vom Gürtel bis an den Sattel, und zuletzt warfen sie Pferdedecken über ihn, damit er nicht erfror. Felipe führte vorsichtig das Pferd seines Freundes am Zügel, und Jori hatte die Aufgabe, sie zu warnen, falls Raimon trotz dieser Maßnahmen abzurutschen drohte. So machten sie sich wieder auf den Weg.
    Bei dem Sturm fürchteten sie sich, noch höher in die Berge zu steigen. Zurück nach Osten ins Tal konnten sie nicht, nach Süden hin versperrte das Gebirge den Weg nach Catalonha. Im Nordosten lag Castel Nou. Deshalb wandten sie sich nach Nordwest, oder was sie dafür hielten, um irgendwo in einem Tal auf menschliche Behausungen zu stoßen.
    »Wir finden sicher ein Bergdorf«, versuchte Arnaut, Ermengarda zu beruhigen. »Dort waschen wir den Eiter aus der Wunde, und nach ein paar Tagen Ruhe erholt er sich wieder.«
    Sie nickte niedergeschlagen und war selbst fast am Ende ihrer Kräfte, denn die steinigen Pfade durch die Berge waren oft so steil, dass man die Pferde am Zügel führen musste, an Reiten war nicht zu denken. Auch der nimmermüde Wind zehrte an den Kräften, sein elendes Jammern und Heulen machte sie krank und immer mutloser. Wie war sie nur darauf gekommen, aus Narbona zu fliehen? Welcher Eigensinn hatte sie getrieben? Halsstarrig und selbstsüchtig war sie gewesen. Und was hatte sie erreicht? Nichts als Unglück über andere Menschen hatte sie gebracht. Auch wenn Gott ihr verzieh, sie selbst konnte es nicht. Es wäre das Beste, aufzugeben und heimzukehren.
    Doch auch das blieb ihr verwehrt, außer sie ging allein. Denn die Gefährten, die sich für sie eingesetzt hatten, würden schrecklich dafür bestraft werden, falls man sie fing. Untreue, Verrat, Entführung und Mord würde man ihnen zur Last legen. Sie warf einen kurzen Blick zu Arnaut hinüber und schluckte ihre Tränen hinunter. Trotz allen Unglücks wollte sie sich nicht die Blöße geben, wie ein Kind zu heulen. Nicht vor ihm.
    Sie waren an der höchsten Stelle eines Bergrückens angekommen, wo sie der Wind mit doppelter Gewalt packte, so dass Ermengarda sich an einen Strauch klammern musste. Sie blickte hinunter in ein kleines Tal. Nichts als Felsbrocken, Gestrüpp und Wald war zu sehen. Hier wohnte keine Menschenseele. Selbst die Bäume wirkten verloren, denn der Sturm hatte sie ihres Herbstlaubes beraubt. Gegenüber reckte sich der nächste Hang in die Höhe. Endlos schienen diese Berge zu sein, wie Wellen im Meer. Eine menschenleere Bergwüste. Es kam ihr alles so sinnlos vor.
    »Komm, bergab geht es leichter.« Arnaut grinste ihr aufmunternd zu. Sie zog am Zügel des Wallachs und stolperte ihm erschöpft hinterher. Sie war wütend auf ihn, denn nichts schien ihn zu ermüden oder zu erschüttern. Ihr dagegen taten die Füße weh, die Arme hingen schwer wie Blei. Beine, Rücken, alles schmerzte. Am liebsten hätte sie sich einfach irgendwo ins Gras geworfen, um zu sterben. Stattdessen biss sie die Zähne zusammen und versuchte, mit Arnaut Schritt zu halten.
    »Fürs Erste müssen wir Barcelona vergessen«, rief er ihr über die Schulter zu. »Ich schätze, Raimon braucht einige Wochen, um wieder gesund zu werden.«
    Wenn er nicht schon vorher stirbt, dachte sie, und der Gedanke trieb ihr erneut Tränen in die Augen. Barcelona,
mon Dieu!
Das klang wie ein Name aus einer anderen Welt. Etwas Warmes zu essen und ein Bett war alles, was sie sich ersehnte.
    »Auch später sollten wir das Vallespir vermeiden. Es gibt sicher einen anderen Pass. Oder wir nehmen doch die Küstenstraße.«
    Was redete er da? Was sollte sie in Barcelona? Als ob das alles noch eine Bedeutung hätte. Außerdem war der arme Aimar jetzt tot. Ohne ihn würde man sie gar nicht ernst nehmen. Eine abtrünnige Braut, die ihren angetrauten Mann im Stich gelassen hatte. Eine halbwüchsige Rebellin, die sich auf unerhörte Weise mit jungen Kerlen im Geleit über die Berge geschlagen hatte, um sich dann in abgerissenen Kleidern ihrem Vetter vor die Füße zu werfen. Was für ein

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