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Die Comtessa

Die Comtessa

Titel: Die Comtessa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Schiewe
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wagten kaum, sich gegenseitig in die Augen zu sehen, denn in ihren Herzen setzte sich die Gewissheit fest, dass man die beiden getötet hatte, schon um Mitwisser aus dem Weg zu räumen. Ermengarda verbarg ihr Gesicht in den Händen, und ihre Schultern zuckten. Sie umarmte Jori, der dichter an sie herangerückt war, als wollte er sie trösten. Schließlich wischte sie die Tränen von den Wangen.
    »Was sollen wir jetzt tun?«, fragte sie.
    Raimon, der wie leblos an einen Felsbrocken gelehnt hatte, stöhnte plötzlich auf. Er zitterte, als fröre ihn erbärmlich. Ermengarda war sofort bei ihm und bedeckte ihn mit ihrem Umhang. Dann fühlte sie seine Stirn.
    »Er ist glühend heiß,
mon Dieu!
«
    Jeder wusste, was Wundfieber bedeutete. Sollten sie Raimon nun auch noch verlieren? Ermengardas Kiefer mahlten, als sie erneut versuchte, sich zu beherrschen, doch ihre Augen standen voller Tränen. »Hat Gott uns denn verlassen?«, flüsterte sie.
    Darauf gab es keine Antwort.
    Noch vor Stunden hatten sie so hoffnungsvoll und guter Dinge ihre Reise wieder aufgenommen. Nun schien es, als nahte das Ende ihrer Flucht. Alle Welt hatte sich gegen sie verschworen. Sie waren verloren mitten in der Wildnis, wussten nicht, wohin sie sich wenden sollten. Immer noch wütete der Sturm und machte jeden von ihnen mit seinem Heulen verrückt. Ein Feuer zu entzünden war unmöglich. Wie sollten sie die Nacht in dieser Kälte überstehen? Nicht einmal eine Höhle hatten sie gefunden. Besonders Arnaut wusste, wie gefährlich ein Sturm zu dieser Jahreszeit in den Bergen sein konnte. Wenn sie nicht bald Unterkunft fanden, würde Raimon mit Sicherheit sterben.
    Felipe hielt es nicht mehr aus und sprang auf.
    »Ihr bleibt hier, ich suche uns einen Unterschlupf. Irgendwo muss es eine Hütte geben. Hier sind doch Ziegenhirten und Schäfer unterwegs.«
    Severin erbot sich sofort, ihn zu begleiten.
    »Nichts da«, sagte Arnaut mit harter Stimme. »Zur Not binden wir Raimon auf seinem Gaul fest, aber wir bleiben zusammen.«
    ***
    »Willst du mir sagen, sie sind entkommen?«, schrie Gausbert völlig außer sich. »Ich fasse es nicht!« Er raufte sich den Bart.
    »Schrei nicht so«, raunte sein Bruder. »Oder willst du, dass der fette Pfaffe alles mithört?«
    Vor Wut schleuderte Gausbert einen herrlichen Glaskelch an die Wand, so dass das gute Stück in tausend Scherben brach. Ein hässlicher Weinfleck zierte nun den teuren maurischen Wandteppich.
    »Wie ist das möglich? Kannst du mir das erklären?«
    »Der Hinterhalt war gut gelegt, alles lief wie geplant. Aber sie waren nicht in einem Haufen. Joan sagt, sie haben die ganze Zeit getrödelt. Es hat ein Durcheinander gegeben, und die hintere Gruppe mit Ermengarda konnte sich aus der Umzinglung raushauen.«
    »Einfach so.«
    »Was soll ich dir sagen?« Artaud machte ein klägliches Gesicht und zuckte mit den Schultern. »Es war zum Teil Joans Schuld. Ich werde ihn die Peitsche schmecken lassen. Mehr kann ich nicht tun.«
    »Da fliegt unsere schöne, fette Gans einfach so zum Fenster hinaus, nur weil Joan nicht aufgepasst hat. Ich sollte dich verflucht noch mal von der Zinne werfen, du Hohlkopf.«
    »Nenn mich nicht so.«
    »Dann benimm dich nicht wie einer.«
    »Wir haben sogar ein paar Männer verloren.«
    Gausbert lachte gehässig. »Auch das noch. Ihr habt euch veralbern lassen … von halben Kindern!« Die letzten Worte hatte er gebrüllt.
    Gausberts Gesicht war immer noch dunkelrot vor Zorn. In diesen Augenblick trat die Maurin Jamila ein. Sie stellte einen Teller mit kandierten Früchten neben ihn, eine Köstlichkeit, bei der man teuren maurischen Rohrzucker verwandte. Als sie die Scherben sah, bückte sie sich, um sie aufzulesen.
    »Verschwinde, du hässliche Schlampe«, brüllte Gausbert und warf den Teller nach ihr. Zum Glück verfehlte er sie, aber nun lagen überall kandierte Früchte zwischen den Scherben. Jamila floh aus dem Raum.
    »Haben sie dich gesehen?«, fragte Gausbert.
    »Ich war gar nicht dabei. So wie du gesagt hattest.«
    »Vielleicht war das ein Fehler.« Hasserfüllt starrte Gausbert seinen Bruder an. »Finde sie, verflucht!«
    »Wir suchen überall, aber ich mache mir keine großen Hoffnungen. Wir nahmen natürlich an, dass sie hierher zurückkehren würden. Das hat uns Zeit gekostet. Seltsamerweise sind sie aber die Berge hinauf, wie es scheint. Inzwischen könnten sie überall sein. Wenn sie da oben nicht verrecken, bei dem Wetter.«
    »Hornochse!«, knurrte Gausbert

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