Die Containerfrau
weiteren Handlungsverlauf unter Kontrolle zu haben.
»What happens then?«, fragt sie mit einem Blick zurück.
»You first. So us.« Der »Spatz« ignoriert die Frage, sie zeigt nur auf sich und die Waffe.
»You first. So us«, wiederholt sie. Anne-kin Halvorsen nickt. Sie ist nicht schwer von Begriff, hat die Botschaft begriffen. Aber sie lässt nicht so einfach locker. Will wissen, wie die Pläne, die Abmachungen, wie die in einer fremden Sprache getroffenen Übereinkünfte aussehen.
»What happens then«, fragt sie hartnäckig. Keine Antwort. Sie versucht einen anderen Dreh. Denn sie will verdammt sein, wenn sie als lebende Zielscheibe aus der Tür geht.
»Did you get any help«, fragt sie. »The Russian woman you spoke with, can she help you?« Sie sieht, wie Irina mit den Schultern zuckt.
»She was not Russian«, hört sie. »She study Russian, she tell your boss me want to tell him all, tell everything. Understand?« Anne-kin nickt, versucht nicht übereifrig zu wirken, weil sie den »Spatz« endlich zum Reden gebracht hat. Oder weil der »Spatz« endlich reden will. Sie hat der Frau den Rücken gekehrt, dreht sich halbwegs um, langsam, ungeheuer langsam. Betrachtet die andere, die breitbeinig dasteht und mit beiden Händen den Schaft umschließt, sie sieht wirklich aus wie eine Illustration aus einem Lehrbuch für korrekten Waffengebrauch. Aber die selbstsichere Haltung fährt auf Kollisionskurs zu den ängstlichen Augen.
»Your police is okay? Give me to allow to stay?« Zwei dunkelblaue furchtsame Augen starren in ihre eigenen. Verlangen eine Zusage. Anne-kin Halvorsen hasst sich, als sie nickt und sagt:
»Sure. Sure our police is okay. What is your profession?« Die andere runzelt die Stirn, wühlte in ihrem Wortschatz und sagt nach kurzem Nachdenken:
»Ah, my job? I am very good to make you a dress. You and your elegant friends.« Kommissarin Halvorsens Herz sinkt nach unten. Das hier ist eine Wiederholung, die Wiederholung einer Szene, die sich wenige Jahre zuvor abgespielt hat. In Kirkenes. Die Grenzen waren geöffnet worden, der Handel sollte frei fließen. Zwischen Norwegen und der Sowjetunion, Verzeihung, Russland. Dann rief eine Kollegin an und weinte sich per Telefon an Anne-kins Schulter aus, weil Frauen, Händlerinnen, auf dem vom Wind geplagten Marktplatz von Kirkenes gestanden hatten, mit ihrer Kollektion auf Holztischen und Hoffnung in den Augen, was ihnen lediglich ein belustigtes Kopfschütteln eingetragen hatte. Aber keine Geschäfte. Denn die Frauen in Kirkenes oder Grimstad, Røros oder auch Oslo sind von russischer handgeschnitzter Haute Couture nicht sonderlich beeindruckt. Sie schaut Irina an.
»Who told you to make beautiful clothes here in Norway?«
»You not muve! I not answer. Your boss, he promise! I tell him. And you shut up!«
Anne-kin Halvorsen seufzt, ihre Hände sinken von ihrem Kopf nach unten, und schon spürt sie die Revolvermündung im Nacken.
»Up your hands« Sie hebt die Hände, legt sie auf den Kopf.
Fragt weiter, denn sie will das bisschen Kontakt, das sie jetzt entwickelt haben, nicht wieder verlieren. »Where is the telephone you used? The mobile?«
»Not understand«, hört sie Spatz-Irinas Stimme antworten.
Mit den Händen auf dem Kopf geht Anne-kin ein Risiko ein, sie dreht sich langsam um und sieht, wie der »Spatz« sie aus schmalen Augen mustert, betrachtet. Dann wird deren Blick sanft und verlegen.
»You like me?«, fragt sie plötzlich. »You help me?«
Anne-kin stöhnt. Als sie zuletzt einem Menschen helfen wollte, der nicht in Norwegen geboren war, Carlos, ihrem Nachbarn, endete alles damit, dass der vom Flughafen aus anrief und ihr die beiden Polizisten vorstellte, die ihn aus dem Land und zurück zu Terror und Folter bringen sollten. Seither hat sie kein einziges Wort von ihm gehört.
»Yes, I like you«, antwortet Anne-kin. Aber darum geht es schließlich nicht. »And if my boss said he can help you, you better trust him. Besides, Irina –«, die andere wird sichtlich nervös, als sie ihren Namen hört. »Besides«, sagt Kommissarin Halvorsen, »what other choice do you have? Than trust him?« Der »Spatz« nickt. Weiß sicher besser als jede andere, wie wenig Alternativen sie hat. Dann kneift sie plötzlich wieder die Augen zusammen.
»I do not trust no person«, flüstert sie verbissen. »Everything is business. But I can tell your boss about the business. Why we, we … Olga and Little-Irina … you understand?«
Herrgott, denkt
Weitere Kostenlose Bücher