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Die Containerfrau

Die Containerfrau

Titel: Die Containerfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Smage
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dem Lichtkegel. Und Kommissarin Halvorsen ahnt, oder übernehmen andere Sinne diese Aufgabe, noch andere draußen in der Dunkelheit. Die Kollegen haben sie aufs Korn genommen. Sie und ihren Schatten, der die Containerfrau aus Murmansk versteckt. Ihr fällt eine Episode ein, aus der Zeit der Heimwehren, als sie als Markierungspunkt in unwegsamem Gelände lag, und der Feind, Fi, auf sie zielen und sie sozusagen erschießen sollte. Zwei ihre Mitsoldaten hatten ihr später erzählt, sie hätten sich dabei überlegt, dass sie es nicht schaffen würden, auf eine Frau zu schießen, dass sie niemals Ernst hätten machen können. Und sie hatte ihnen nur die Wange gestreichelt und sagt: »Wie niedlich, Jungs.« Kommissarin Halvorsen fragt sich, was die da draußen wohl empfinden. Denn ihr Schatten, Fi, ist auch eine Frau.
    Plötzlich ist der Druck verschwunden. Sie spürt, dass der harte Druck der Mündung nicht mehr da ist, sie hört nur Irinas Atem. Dann wird Anne-kin etwas in die Hand gedrückt. Ein heißer, schweißnasser Revolvergriff.
    »Take it«, hört sie. »Please.« Sie packt den feuchtwarmen Schaft, sieht, dass der Revolver entsichert ist, sichert. Und in diesem Moment tritt ihr Schatten aus der Sicherheit hinter dem Rücken von Kommissarin Anne-kin Halvorsen heraus, geht zwei Schritt zur Seite und hebt die Hände. Clever, Spatz, denkt Anne-kin dankbar, und dann kann sie nicht mehr denken, denn eine verirrte Fledermaus jagt an ihrer Wange vorbei. Der Knall kommt von vom und von hinten, als sie gegen die Wand schlägt, gegen die Tür, gegen eine solide Eichentür. Flatsch! Anne-kin spürt, wie etwas verspritzt, spürt, wie heiße klebrige Innereien gegen Wangen, Stirn, Kopf spritzen. Sie hört ein leises Stöhnen, spürt das Gewicht eines Körpers gegen sich fallen, begreift, dass es durchaus keine Fledermaus und auch sonst kein fliegendes Wesen war. Es war der unruhige Finger eines Kollegen, der zwei Schüsse losgelassen hat. Der Teufel soll dich holen, Vang, schluchzt sie und versucht den Körper zu stützen, der gegen ihren sinkt.
    »RUNTER, HALVORSEN, RUNTER! « Sundts Stimme knallt wie ein Peitschenhieb. Nur eintrainierte Reflexe bringen sie zum Gehorchen, sie lässt sich fallen, liegt da und umarmt ihren Schatten. Einen Schatten, der sehr viel Blut besitzt. Jemand trifft die Außenlampe, Stein klirrt gegen Glas, und dann ist die Welt dunkel. Und in der Dunkelheit spürt sie zwei Arme, die sie von der Treppe und hinter die Mülltonnen ziehen. Es ist Sundt. Gleich darauf ist noch ein Körper da. Und draußen in der Dunkelheit ist die Hölle los. Ein Scheinwerfer wird eingeschaltet. Hartes, grelles Licht flutet über den Hinterhof, fort von ihr und den Mülltonnen, weit weg. Das Licht frisst sich die Nachbarhäuser oben am Hang hoch, die vierstöckigen Steinhäuser, die oben am Kamm thronen. Fast die ganze Fassade wird angestrahlt. Und in der Dunkelheit kann sie zuerst Vang erkennen, dann mehrere andere Kollegen. Sundt kläfft Befehle. Sie hört das Wort »Krankenwagen«. Durch ihr benebeltes Gehirn fährt ein Gedanke: Spatz, Herrgott, lebst du noch, Spatz? Und dann: warum legt ihr Chef diesem verdammten Rambo von Polizeicowboy, der den Finger nicht vom Hahn lassen konnte, keine Handschellen an? Sie kann nicht feststellen, aus welcher Richtung die Schüsse gefallen sind, aber sie waren seltsam gedämpft, als stehe jemand weit hinten in einem Zimmer und schieße durch ein offenes Fenster.
     
    Das scharfe Scheinwerferlicht, das über graue Mauern, Dächer und Dachfenster fegt, lässt die Hausbewohner die Rollos hochziehen und verängstigt aus Schlafzimmer- und Wohnzimmerfenstern schauen. Was geht da draußen in der Nacht vor sich? Effektiver Weckdienst, denkt Kommissarin Halvorsen, und mehr kann sie nicht denken, denn jetzt ist der Krankenwagen da und sie wird auf eine Bahre gelegt. Sie dreht sich um, will mit ihrem Chef reden, will wissen, was passiert, warum etwas schief gegangen ist, was jetzt weiter geschieht. Aber er hat keine Zeit für sie. Sie hört, wie er Verstärkung anfordert, hört Not- und Bereitschaftsprozeduren. Die einzige Antwort, die sie bekommt, ist eine weitere Bahre, die neben ihre geschoben wird. Die Krankenwagenbesatzung verhält sich professionell: einer fährt mit heulenden Sirenen und Blaulicht, so dass alle Fahrzeuge geradezu zur Seite spritzen, ein anderer wickelt dem »Spatz« in aller Eile einen vorläufig das Blut stoppenden Verband um den Kopf. Sie scheint mit Blut geradezu

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