Die Containerfrau
Fenster lässt Hintergrundlicht ins Zimmer fließen. Der »Spatz« sitzt wie ein Scherenschnitt da, ein Ganzkörperscherenschnitt, ihr Gesicht liegt im Schatten, Nur ab und zu glitzert das Metallstück, das sie in der Hand hält. Das bedeutet einen nervösen und unruhigen Finger am Abzug, denkt Kommissarin Halvorsen. Und sitzt noch sehr viel ruhiger da.
Als das Telefon endlich klingelt, reagieren sie kaum noch. Sie sitzen schon zu lange in diesem dunkeln Zimmer in Møllenberg, die Welt draußen ist gewissermaßen so fern, so weit draußen. Uninteressant.
Sie bleiben sitzen und hören dem Klingeln zu. Wie zwei Mumien. Salzsäulen. Der russische Spatz und die norwegische Polizistin lassen es einfach klingeln. Am Ende rafft Anne-kin sich auf.
»Shall I take it?«, fragt sie.
Keine Antwort. Anne-kin überlegt, ob der »Spatz« in seinem Sessel wohl eingeschlafen sein kann. Glaubt das aber nicht. Wenn sie im Zwielicht auch nicht das Gesicht des »Spatz« sehen kann, so sieht sie doch auf jeden Fall eine Waffe, die das Licht der Straßenlaterne reflektiert.
Sie fragt: »Shall I put on more light?«
»No«, die Antwort knallt wie ein Peitschenhieb. »No more light. I see you. Take it. Take the telephone.«
Anne-kin hebt den heftig klingelnden Hörer ab, hört Sundts Stimme, hört, dass er mit der anderen sprechen will. Reicht den Hörer weiter.
»For you«, sagt sie.
»Light!«, hört sie. »Please light.« Anne-kin schaltet die Deckenlampe ein. Eine hässliche Deckenlampe, die sie zusammen mit der Wohnung übernommen hat, sie benutzt sie sonst nie. Die Deckenlampe besteht aus Neonröhren, die ihr Wohnzimmer in ein grelles, kaltblaues Geschäftslokal verwandeln. Ein Licht, das Gänsehaut verursacht.
Aber der »Spatz« scheint mit dem Deckenlicht einverstanden zu sein, sie nickt und hat wieder alles unter Kontrolle. Mündung auf Bauch, denkt Anne-kin. Unkontrollierbare Landmine.
Dann geht die Sache wieder los. Der »Spatz« nimmt den Hörer, sagt etwas in einer Sprache, von der Anne-kin nicht einen Mucks versteht. Mit dem einzigen Unterschied, dass der Spatz diesmal nicht »wrong! wrong! wrong!« ruft und den Hörer auch nicht auf den Boden schleudert.
Anne-kin Halvorsen sitzt da als Zuhörerin bei einem Gespräch, von dem sie kaum ein Wort begreift. Obwohl sie Bruchstücke und Brocken einer anderen, hellen Frauenstimme hören kann, liegt der Inhalt doch weit außerhalb ihres Begriffsvermögens. Aber die Körpersprache des »Spatz« sagt ihr, dass die beiden Frauen Höflichkeitsfloskeln wechseln.
Der gute Ton, denkt Kommissarin Halvorsen. In diesem Moment. Meine Güte. Dann spitzt sie die Ohren, die Chemie zwischen den beiden scheint zu stimmen. Der »Spatz« will reden.
Sundt, denkt Anne-kin Halvorsen, guter Sundt, du hast wohl Grips genug, um dieses Gespräch auf Band aufzunehmen?
Sie hört den »Spatz« ihren Namen nennen, das glaubt sie zumindest, sie scheint Irina Dingsbums-slowska zu heißen. Murmansk. Das kann sie immerhin verstehen. Dann folgen einige »da-da«, und der »Spatz«, nein, Irina, wird wieder wortkarg. Abweisend. Dann spricht sie wieder. Um eine Minute darauf zu verstummen. Ein ums andere Mal. Am Ende, unmittelbar, ehe Spatz-Irina auflegt, schaut sie zu Anne-kin hinüber, sagt noch einmal »da« und nickt.
Eine Sekunde darauf faucht sie einen wütenden Befehl in den Hörer. Hört ein Ja oder eine Bestätigung oder was auch immer.
Auf jeden Fall sieht sie ein klein bisschen weniger nach Todesangst aus als zuvor. Dann legt sie auf und sagt zu Kommissarin Halvorsen:
»Stay you up.« Und Anne-kin Halvorsen gehorcht, sie steht auf und legt die Hände auf den Kopf. Will nicht provozieren. Aber sie könnte jeden Moment kotzen, nicht vor Angst, sondern weil ihr Wohnzimmer stinkt. Spatz-Irina steht vom Stuhl auf, schickt eine Woge von Kotzgestank durch das Zimmer. Und es riecht nicht gerade nach zu viel Rotwein und Pizza am Samstagabend. Es riecht verwest, stinkt nach Angst und Tod.
»Wait. Three ring. Then we go.« Irina aus Murmansk liefert Informationen. Obwohl die Frau nicht gerade ihre ganze Schulzeit hindurch Englischunterricht genossen hat, ist ihre Mitteilung doch kristallklar. Sie sollen warten, bis dreimal an der Haustür geschellt wird, dann sollen sie die Wohnungstür aufschließen, sie öffnen, die Treppen hinuntergehen. Die Haustür aufschließen und hinausgehen. Hinaus zu was? Anne-kin redet über ihre Schulter mit einer Frau mit einem Revolver, die sich einbildet, den
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