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Die Containerfrau

Die Containerfrau

Titel: Die Containerfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Smage
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begreifen nicht, warum sie durchsucht werden. Um dann weitergehen zu können.
    »Nette Bullen«, sagt einer, »haben den Schnaps nicht gefunden.« Sundt & Co interessieren sich nicht für Schwarzgebrannten, jetzt nicht.
    Sie halten Wache, damit sich niemand aus den Steinhäusern davonschleichen kann. Die Technik arbeitet wie besessen. Polizisten mit Kenntnissen über ballistische Bahnen analysieren, woher ein Schuss kommt, der gerade in diesem Winkel in eine Eichentür eingedrungen ist. Und wo sind die Kugeln?
    Sie finden eine. Die hat im Haus von Kommissarin Anne-kin Halvorsen die Haustür durchstoßen, ist durch den mit Flickenteppichen geschmückten Gang gejagt, ist weitergelaufen und hat ein nettes kleines Loch in die Wand vor der Studentenbude geschlagen. Sie brechen die Tür auf. Und finden die Kugel. Mitten in seiner CD-Sammlung finden sie sie. Es ist eine 6,5 mm Kaliber, normale Munition für allerlei Mausermodelle. Die andere ist nicht eingeschlagen. Und das bedeutet, dass sie sich irgendwo im Körper von Kommissarin Halvorsen oder in dem der entflohenen RiT-Patientin befinden muss. Und mehr als ein Mensch wird bei diesem Gedanken eine Nuance bleicher.

30
    Die kleine Irina aus Murmansk, heruntergekommen in einem Müllcontainer im Hafen von Trondheim aufgefunden. Ausgegraben und ins Krankenhaus verfrachtet. Halb tot und ausgetrocknet, blutend und in Todesangst. Dermaßen, dass sie aus der Sicherheit entfloh, als die grundlegenden Bedürfnisse befriedigt und die Wunden versorgt waren. Aus Pflege und Fürsorge, vor intravenöser Ernährung und Medikamenten geflo hen, ganz einfach abgehauen. In gestohlenen Kleidern. Und ohne, dass der Portier oder irgendwer sonst auch nur den Schatten des Flüchtlings entdeckt hätten.
    Jetzt ist sie wieder da. Jetzt liegt sie wieder im Regionalkrankenhaus in Trondheim. Liegt wieder auf einer Bahre, auf einem Tisch, unter scharfen Operationslampen, vor grün gekleideten Helfern mit scharfen Messern und Skalpellen, mit geübten Routinen und Schweißperlen unter ihren Gazehauben. Sie arbeiten wie besessen. Niemand fällt in Ohnmacht. Sie haben das trainiert, haben den Kampf gegen Zeit und Tod trainiert. Und gegen Blut und Dreck und Löcher und Fleischfetzen, gegen Zerstörung und Körperchaos. Gegen den Wirrwarr. Niemand fällt in Ohnmacht. Aber einer kotzt. Zieht sich zurück und reißt sich die Binde vom Mund. Ein angehender Krankenpfleger, noch mit zarten Nerven. Dass eine einzige Kugel soviel Teufelswerk ausrichten kann. Sie finden Kugel Nr. 2 in Irinas Kopf. Einschlag von der rechten Schläfe her. So teuflisch raffiniert angebracht, dass die Kleine höchstens zwanzig Prozent Chance hat, diese Operation zu überleben. Und keine, wenn die Kugel nicht entfernt wird. Sie legen los.

31
    Anne-kin kommt zu sich, ehe die Bahre aus dem Krankenwagen gehoben wird. Kommt zu sich und sieht nichts. Die Welt hat keine Konturen, besteht nur aus Nebel mit flackerndem, krankem, klebrigem Licht. Sie stöhnt, schließt die Augen, kneift sie fest zusammen. Jemand schiebt sie auf eine Tür zu. Etwas stimmt mit meinen Augen nicht, sagt sie, oder vielleicht denkt sie das auch nur. Meine Augen sind verletzt, ich kann nichts sehen, ich sehe nur … nur lange Fäden, Dunst und Bilder meines eigenen Gehirns. Vorsichtig öffnet sie sie wieder. Unverändert. Sie glaubt, Wurzeln zu sehen, ein verflochtenes Gewirr von Wurzeln, das sich über ihre Netzhaut gelegt hat.
    Das ist zu viel. Die Leute, die sie schieben, und die, die bereit stehen, hören eine Frau, die zuerst stöhnt, und die dann ein einziges Wort heult: »NEEE1NN!« Ihr Schrei hallt an Wänden und Decke wider. Sie hört eine beruhigende Stimme. Dann fängt jemand an sie zu untersuchen, ihr Gesicht zu waschen. Jede vorsichtige Bewegung, die weich über Stirn, Augen, Wange fährt, riecht nach Krankenhaus. Der herbe Geruch füllt ihre Nasenlöcher, ihre Flimmerhaare sträuben sich. Sie niest. Niest so heftig, dass Rotz und Tränen aufstieben. Sie wird hochgezogen. Tm Sitzen wird sie von den guten Helfern weiter gewaschen. Es müssen mehrere sein, sie sind überall, mit Watte, Lappen, Gaze. Es brennt nicht, denkt sie. Seltsam, aber es brennt nicht, es tut nicht weh. Blind zu werden soll nicht weh tun? Sie wagt nicht die Augen zu öffnen.
    »Jetzt können Sie die Augen aufmachen«, hört sie. Spürt eine Hand auf der Schulter.
    Als Erstes sieht sie eine Schüssel mit rotem Inhalt. Und dann noch eine. Die Blutsuppe schwappt darin, zusammen mit etwas

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