Die Corleones
ernsthaft darüber nachzudenken. »Ich weiß es nicht, Pa«, sagte er schließlich. »Wahrscheinlich sollten wir ihn beim Wort nehmen: Er hat eingesehen, dass du ein besserer Anführer sein wirst als Mariposa.«
Vito schüttelte den Kopf, und das hoffnungsvolle Funkeln in seinen Augen erlosch. Trotzdem betrachtete er seinen Sohn weiterhin mit einem gewissen Wohlwollen. »Nein«, sagte er und legte Sonny die Hand aufs Knie – genau die Geste, die sich Sonny eben verkniffen hatte. »Einen Mann wie Emilio Barzini darf man nie beim Wort nehmen. Um der Wahrheit auf den Grund zu gehen, muss man sich genau überlegen, mit wem man es zu tun hat und unter welchen Umständen.« Sein Griff wurde fester. »Du musst ebenso auf dein Herz hören wie auf deinen Verstand. So ist das in einer Welt, in der die Menschen wie selbstverständlich lügen – und eine andere Welt gibt es nicht, Santino, zumindest nicht hier auf Erden.«
»Warum dann?«, fragte Sonny, und es war ihm anzuhören, dass er entmutigt war. »Wenn wir ihm nicht glauben können, warum dann?«
»Weil Emilio die Schießerei auf der Parade geplant hat.« Vito hielt inne und sah Sonny an, und dabei bot er genau das Bild dessen, was er war: ein Vater, der seinem Sohn etwas erklärte. »Allerdings hat er nicht vorausgesehen, dass es zu einem solchen Blutbad kommen könnte, und das war sein Fehler. Aber die Idee stammt von Emilio, da kannst du dir sicher sein. Mariposa ist nicht klug genug, um sich so etwas auszudenken. Wenn alles nach Plan verlaufen und ich und Luca Brasi getötet worden wären – und du, Sonny, denn auch das war ihr Ziel –, dann hätten sie den verrückten Irendie ganze Schuld in die Schuhe schieben können, denn jeder weiß, dass kein Italiener jemals Frauen und Kinder in Gefahr bringen würde. Die Familie eines Mannes ist unantastbar – dafür bürgen wir mit unserer Ehre. Wenn die anderen Familien ebenfalls geglaubt hätten, dass die Iren dahintersteckten, wäre der Krieg vorbei gewesen, und Giuseppe hätte bald alle Macht an sich reißen können, mit Emilio als seine rechte Hand.« Vito stand auf, ging zum Fenster hinüber und schaute in den Garten, wo noch immer reges Treiben herrschte. Unwillig schob er sich die Schlinge über den Kopf und warf sie beiseite. Dann ballte er die linke Hand zur Faust und öffnete sie wieder, nicht ohne das Gesicht zu verziehen. »In den Zeitungen ist bereits von einer Blutfehde unter den Iren die Rede, von einer Bande tollwütiger Katholiken. Hinter diesen Geschichten stecken Zeitungsleute, die von Mariposa bezahlt werden. Aber nachdem jetzt alles so entsetzlich schiefgegangen ist, hat Emilio Angst.« Vito setzte sich wieder Sonny gegenüber und beugte sich vor. »Er wusste, dass ich, sollte ich überleben, sofort begreifen würde, dass Mariposas Familie hinter dem Massaker steckt. Jetzt befürchtet er, dass sich alle anderen Familien gegen ihn und Giuseppe stellen werden. Ihr Anschlag auf Clemenza und Genco im Angelo’s ist misslungen, und Capones Leute sind gar nicht erst zu mir vorgedrungen … Und all das so bald nachdem wir übereingekommen waren, seine Steuer zu bezahlen … Giuseppes Wort ist nichts mehr wert, und jetzt hat er gezeigt, dass er besiegt werden kann. Emilio setzt auf uns, weil das seine beste Chance ist. Deshalb hat er sein Leben riskiert, um mit seinem Vorschlag zu uns zu kommen. Und was am wichtigsten ist – deshalb können wir ihm
jetzt
auch vertrauen.«
»Wenn er vorhatte, uns umzubringen, warum läuft er dann noch lebend herum?« Sonny wusste, dass er seinen Zorn bändigen und genauso vernünftig sein sollte wie sein Vater, aber er konnte sich einfach nicht beherrschen. Bei der Vorstellung, dass Emilio geplant hatte, ihn und seine Familie zu ermorden, wurde ihm gleichzeitig heiß und kalt, und sein einziger Gedanke, wenn es denn ein Gedanke genannt werden konnte, war, sich zu rächen.
»Denk nach, Sonny, bitte«, sagte sein Vater. »Streng deine grauen Zellen an.« Er packte Sonnys Kopf, schüttelte ihn und ließ ihn dann wieder los. »Was hätten wir davon, wenn Emilio Barzini tot wäre? Dann hätten wir Carmine Barzini und die Rosato-Brüder gegen uns – und Mariposa.« Als Sonny schwieg, fuhr Vito fort: »Wenn Emilio am Leben bleibt und Mariposa tot ist, können wir sein Revier unter uns aufteilen – und dann wird es nur noch fünf Familien geben, und wir werden die stärkste von ihnen sein. Das ist unser Ziel. Darauf müssen wir uns konzentrieren – Emilio ist dabei nur
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