Die Corleones
ließen beständig den Blick über die Straße schweifen. Am Straßenrand wartete ein auf Hochglanz polierter schwarzer Buick mit einem fetten Mann auf der Rückbank. Sandra sah aus, als verstünde sie plötzlich alles, könnte es aber immer noch nicht glauben.
»Wir sind Geschäftsleute«, sagte Sonny, »und manchmal geht es dabei etwas ruppig zu. Aber dafür«, fuhr er fort und meinte damit die Parade, »dafür wird jemand bezahlen.«
Sandra nickte schweigend.
»Ich hab keine Zeit, dir alles zu erklären«, sagte Sonny kurzangebunden, fügte dann jedoch etwas sanfter und sogar ein wenig verzweifelt hinzu: »Liebst du mich?«
Sandra antwortete, ohne zu zögern. »Ja, Santino. Ich liebe dich.«
»Dann vertrau mir. Es wird nichts Schlimmes passieren.« Er beugte sich zu ihr hinab und küsste sie dieses Mal äußerst zärtlich. »Das versprech ich dir, okay? Es wird nichts Schlimmes passieren.« Als sie nickte und sich die Tränen abtrocknete, küsste er sie erneut und strich ihr über die Wangen. »Ich muss jetzt los.« Er schaute über die Schulter zu dem Buick hinüber. »Bis das alles vorbei ist, werde ich auf Long Island sein, auf dem Anwesen meiner Familie.« Er umfasste ihre Hand und trat einen Schritt zurück. »Lass die Finger von den Zeitungen. Da stehen sowieso nur Lügen drin.« Er lächelte, bis sich auch auf ihren Lippen die Andeutung eines Lächelns zeigte, küsste sie noch einmal flüchtig und eilte dann die Treppe hinunter.
Sandra wartete im Hauseingang, während die beiden Männer hinter Sonny in den Wagen einstiegen. Sie schaute dem Buick nach, der langsam über die Arthur Avenue davonfuhr. Und blieb im Eingang stehen, den Blick weiter auf die dunkle Straße gerichtet – doch vor ihrem geistigen Auge sah sie noch immer Sonny in die Nacht davonfahren. Sie konnte sich nicht dazu durchringen, die Tür zu schließen und in die Wohnung und zu ihrer schlafenden Großmutter zurückzukehren, bis sie Sonnys Worte ein Dutzend Mal in Gedanken wiederholt hatte. »Es wird nichts Schlimmes passieren.« Dann schloss sie endlich die Tür und ging auf ihr Zimmer, wo sie nichts anderes tun konnte als warten.
25.
Sonny drückte eine Tür auf und steckte den Kopf in den dunklen Raum. Er befand sich in dem künftigen Zuhause der Corleones auf Long Island, auf dem eingefriedeten Anwesen, wo im Moment, obwohl es spät abends war, reges Treiben herrschte und sich Autos und Männer von Haus zu Haus bewegten. Scheinwerfer blendeten auf, in jedem Zimmer brannte Licht, und auch die Gärten und Mauern waren hell erleuchtet – man hätte meinen können, sie wollten es mit dem Rockefeller Center aufnehmen. Clemenza hatte ihm gesagt, sein Vater wolle ihn sehen, und so war er im Haus seines Vaters von Tür zu Tür gegangen, bis er das einzige Zimmer gefunden hatte, in dem kein Licht brannte. »Pa?«, sagte er und machte einen zögerlichen Schritt in das Halbdunkel hinein. Sein Vater zeichnete sich schemenhaft vor dem Fenster ab, das auf den Garten hinausging. »Soll ich das Licht einschalten?«
Die Silhouette schüttelte den Kopf und trat vom Fenster zurück. »Mach die Tür zu«, sagte sie mit einer Stimme, die von weither zu kommen schien.
»Clemenza hat gesagt, du willst mich sprechen.« Sonny schloss die Tür und schritt durch das Halbdunkel auf seinen Vater zu, der mit seinem unverletzten Arm zwei Stühle heranzog.
»Setz dich.« Vito nahm Platz und deutete auf den Stuhl ihm gegenüber. »Ich möchte unter vier Augen mit dir reden.«
»Klar doch.« Sonny setzte sich, faltete die Hände im Schoß und wartete.
»Clemenza«, sagte Vito, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern, »kommt auch gleich, aber ich wollte erst mit dir sprechen.« Er beugte sich vor, ließ den Kopf hängen und strich sich mit den Fingern seiner rechten Hand durchs Haar.
So hatte Sonny seinen Vater noch nie gesehen, und am liebsten hätte er ihm, um ihn zu trösten, die Hand aufs Knie gelegt. Aber er hielt sich zurück. Später sollte er sich noch oft an diesen Augenblickerinnern, wie er und sein Vater in dem unmöblierten Zimmer gesessen hatten.
»Santino«, sagte Vito und richtete sich auf. »Ich möchte dir eine Frage stellen, und du sollst dir die Antwort gut überlegen: Warum, meinst du, ist Emilio zu uns gekommen? Warum verrät er Giuseppe Mariposa?«
Sonny sah Vito an, dass er hoffte, sein Sohn würde die richtige Antwort finden, also grübelte er lange nach – aber ihm wollte nichts einfallen, so als weigerte sich sein Gehirn,
Weitere Kostenlose Bücher