Die Corleones
gerade festgenäht. Sie zupfte das Kleid zurecht und blickte zum hübschen Gesicht ihrer neuen Tochter hinauf, das ganz von Tüll und Seide eingerahmt war. »
Bella!
«, sagte sie und wandte sichdann zu Sonny um, der mit den Händen in den Taschen dastand und zuschaute, wie sich ein halbes Dutzend Frauen abmühte, Sandra für die Hochzeitsfotos herzurichten. Connie und ihre Freundin Lucy saßen neben Sandra auf dem Boden und spielten mit dem Kissen, auf dem der Ring gelegen hatte. Die Frauen hatten Vitos neues Arbeitszimmer mit Beschlag belegt. Kosmetika und Cremedöschen bedeckten den Schreibtisch aus Nussbaumholz, und überall auf dem Plüschteppich waren Schachteln mit Geschenken verstreut. Dolce hockte auf einer dieser Schachteln und schlug nach einer hellgelben Schleife.
»Sonny!«, sagte Carmella. »Hol deinen Vater!«
»Warum?«
»Warum?«, entgegnete Carmella, und wie so oft klang sie wütend, obwohl sie es gar nicht war. »Für die Fotos, was sonst!«
»
Madon’!
«, rief Sonny aus, als würde er nur ungern die Bürde auf sich nehmen, nach seinem Vater zu suchen.
Seit Wochen ließ Sonny pflichtschuldigst jedes Ritual über sich ergehen, das mit der Hochzeit zusammenhing, von den Treffen mit dem Priester bis zum Aufgebot, den Proben, den Abendessen und allem anderen. Inzwischen konnte er es nicht mehr erwarten, dass es endlich vorbei war. Auf dem Weg vom Arbeitszimmer zur Haustür wurde er drei Mal aufgehalten, um Glückwünsche von Leuten entgegenzunehmen, die er kaum kannte, und als er es schließlich durch die Tür geschafft hatte und feststellte, dass er allein war, blieb er unter dem Säulenvorbau stehen und genoss es, einmal nicht reden zu müssen. Von hier hatte er einen guten Ausblick auf die Bühne. Johnny sang eine Ballade, und alle lauschten hingerissen. »
Cazzo «
, sagte er laut, als er Stadtrat Fischer entdeckte, der sich mit Hubbell und Mitzner unterhielt, hochkarätigen Anwälten, die für Sonnys Vater arbeiteten, sowie mit Al Hats und Jimmy Mancini, zwei von Clemenzas Männern. Sie plauderten und lachten, als wären sie gemeinsam aufs College gegangen.
Dicht an der Mauer, am Rand des großen Gartens, hinter dem das neue Haus stand, in dem er mit Sandra wohnen würde, sobald sie von ihrer Hochzeitsreise zurückkehrten, entdeckte er aufeinem kleinen Podest seinen Vater. Vito hatte die Hände gefaltet und betrachtete ausgesprochen ernst das Treiben auf dem Rasen. Auf der anderen Seite des Gartens, dem Podest direkt gegenüber, ließ Luca Brasi mit zusammengekniffenen Augen den Blick über die Hochzeitsgäste schweifen, als suchte er nach etwas, das er verloren hatte. In dem Moment hoben Vito und Luca gleichzeitig eine Orange an den Mund. Vito biss von seinem Schnitz ab und wischte sich mit dem Taschentuch über den Mund, während Luca in die ungeschälte Orange biss und nicht zu merken schien, wie ihm der Saft über Wangen und Kinn lief. Michael sprang zu Vito auf das Podest hinauf – offenbar flüchtete er vor Fredo, der knapp hinter ihm einen Stock schwang. Als Michael in seinen Vater hineinrannte und ihn fast umriss, musste Sonny lachen. Vito nahm Fredo den Stock weg und schlug ihm damit spielerisch auf den Hintern, und wieder musste Sonny lachen, ebenso wie Frankie Pentangeli und auch Tessio, die rechts und links von Vito standen, und der kleine Paulie Gatto, der Fredo und Michael hinterhergejagt war und ihnen nach auf das Podest sprang.
Eine Zeitlang beobachtete Sonny ungestört das festliche Treiben, und während er den Stadtrat und die Anwälte musterte, die Richter und Polizisten, die sich unter die Oberhäupter der Familien und ihre Männer mischten, wurde ihm bewusst, dass seine Familie die mächtigste von allen war – nichts würde sie mehr aufhalten. Sie hatten es geschafft, sie hatten alles erreicht, und nichts und niemand konnte sich ihnen noch in den Weg stellen – nichts konnte sich
ihm
in den Weg stellen, denn er war der älteste Sohn und somit der Erbe dieses Königreichs.
Alles
, dachte er, und obwohl er nicht hätte sagen können, was
alles
bedeutete, spürte er es in seinem tiefsten Inneren. Am liebsten hätte er den Kopf zurückgelegt und laut gebrüllt. Als Clemenza ihm zuwinkte, er solle doch zu ihnen herüberkommen, hob Sonny die Hände, als wollte er Clemenza und alle anderen Hochzeitsgäste umarmen – und trat in den Garten hinaus, um sich zu seiner Familie zu gesellen.
Glossar
agita
– Magenverstimmung
andate
– Geh!
andiamo
– Gehen
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