Die Corleones
Vor der Bühne beugte sich Luca, in ein ernstes Gespräch mit Kelly vertieft, über den Tisch. Er sah nicht glücklich aus. »Tom«, flüsterte Sonny vor sich hin, »ich bring dich um.« Er holte Hut und Mantel und ging auf die Straße hinaus.
Der Eingang des Juke’s befand sich an der 126. West, in der Nähe der Lenox Avenue. Sonny blieb vor einer Werbetafel stehen, wickelte die Luckys aus und zündete sich eine an. Auf der Tafel wurde für Cab Calloway und sein Orchester geworben, die »Minnie the Moocher« spielten. Sonny summte »Hi di hi di hi« und schlug den Kragen seines Mantels hoch. Es war noch immer Herbst, aber der Wind war bereits winterlich kalt. Hinter ihm öffnete sich die Tür des Clubs, und Musik drang auf die Straße hinaus. Ein grauhaariger Mann, der einen schwarzen Überzieher mit einem Pelzkragen trug, trat heraus und zündete sich eine Zigarre an. »Was für ein Krach!«, sagte er zu Sonny, und Sonny nickte, erwiderte jedoch nichts. Kurz darauf kam ein hagerer junger Kerl in einem Wollpullover aus dem Club. Er warf dem Typen im schwarzen Überzieher einen raschen Blick zu, und die beiden gingen zusammen davon.
Sonny folgte ihnen, bis er bei seinem Wagen war. Dann setzte er sich hinters Steuer, kurbelte das Fenster herunter und streckte sich, so gut es eben ging. Sein Kopf drehte sich ein wenig, aber als Kelly ihn nach Tom gefragt hatte, war er sofort wieder nüchtern gewesen. Vor seinem geistigen Auge sah er Kelly, wie sie den Vorhang aufzog und auf die Straße hinunterblickte. Sie hatte nur ganz kurz dort gestanden, bis Tom hinter ihr aufgetaucht war und den Vorhang zugezogen hatte, aber das hatte genügt – Sonny hatte ihren traumhaft schönen Körper gesehen, so weiß und rosafarben. Und die roten Haare! Sie hatte ein rundliches Gesicht mitroten Lippen und leicht schrägen Augenbrauen, und selbst auf die Entfernung, über die breite Eleventh Avenue hinweg und durch die Fensterscheibe, hatte er an ihr etwas zu erkennen geglaubt, das Wut ausstrahlte.
Sonny fragte sich, wie gefährlich diese Kelly O’Rourke wirklich war. Er schob sich den Hut in den Nacken und kratzte sich am Kopf. Verdammt, was hatte sie nur vor? Wahrscheinlich wollte sie Luca eifersüchtig machen. Aber warum Tom? Woher wusste sie, dass er Tom kannte? Und woher kannte sie ihn überhaupt? Wirklich merkwürdig. Frauen waren auch so schon schwer genug zu verstehen, aber das Mädchen schoss den Vogel ab. Wenn Pa davon Wind bekam,
Madon’!
Dann wollte er nicht in Toms Haut stecken. Pa hatte Pläne für jedes seiner Kinder. Tom sollte Rechtsanwalt werden und in die Politik gehen. Sonny sollte sich als Industrieller einen Namen machen. Michael und Fredo und Connie waren noch nicht so alt, dass ihre Zukunft festgelegt worden wäre, aber das würde noch kommen. Alle mussten das werden, was Pa von ihnen erwartete. Nur dass sich Sonny nicht mehr lange für Leo abplagen würde, so oder so. Er musste einen Weg finden, wie er mit seinem Vater reden konnte. Sonny wusste, was er tun wollte und worin er gut war. Es war noch kein Jahr her, dass er seine Gang gegründet hatte, und er hatte bereits einen Wagen, schicke Klamotten und einige Riesen unter der Matratze.
»Hey!« Cork klopfte auf der Beifahrerseite gegen das Fenster und sprang neben Sonny auf den Vordersitz.
»
Minchia!
« Sonny rückte seinen Hut gerade, der ihm fast vom Kopf gerutscht wäre, als er vor Schreck zusammengefahren war.
Die hinteren Türen gingen auf, und die Romero-Brüder und Nico stiegen ein. »Was war das denn?«, fragte Nico.
Sonny drehte sich um, so dass er die Rückbank im Blick hatte. »Das werdet ihr nicht glauben«, sagte er und erzählte ihnen die ganze Geschichte mit Tom und Kelly.
»Heilige Scheiße!«, sagte Vinnie. »Tom hat dieses Prachtweib gevögelt!«
»Wenn Luca das herausfindet …«, sagte Cork.
»Dann kann ihn nicht mal dein Vater retten«, ergänzte Nico.
»Was will sie damit nur erreichen?«, fragte Sonny an Cork gewandt. »Wenn sie das Luca erzählt, geht der ihr doch wahrscheinlich genauso an die Gurgel.«
»
Wahrscheinlich
?«, sagte Angelo. »Ich würde darauf wetten.«
»Und?« Sonny sah noch immer Cork an.
»Woher soll ich das wissen?« Cork ließ sich auf seinem Sitz zurücksinken und schob sich den Hut über die Augen. »Was für ein verdammter Mist.« Er schwieg eine Weile, und die anderen folgten seinem Beispiel. Alle warteten, ob ihm nicht vielleicht etwas einfiel. »Ich bin zu betrunken, um darüber nachzudenken«,
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