Die Creeds: Wenn ein Herz nach Hause kommt (German Edition)
bekam. „Das war nur im übertragenen Sinne gemeint, Tom“, erklärte sie geduldig.
„Nächsten Monat finden die Stone-Creek-Rodeotage statt“, fuhr er fort. „Tante Ona ist wegen ihrer Probleme mit der Gallenblase aus dem Paradenkomitee ausgetreten. Du weißt, sie hat das dreißig Jahre lang gemacht. Damals waren wir beide noch Babys.“
Melissa ahnte, worauf er hinauswollte, und wusste längst, was als Nächstes kommen würde. „Hör mal, Tom“, erklärte sie eindringlich und lehnte sich dabei vor, während sie die Hände faltete und auf den Schreibtisch legte. „Ich bin eine gute Bürgerin, ich bin eine gewählte Vertreterin der Bürger dieser Stadt. Ich gehe zu jeder Wahl, ich zahle meine Steuern, und darüber hinaus komme ich meiner Bürgerpflicht nach, indem ich dafür sorge, dass alle Verbrecher in der Stadt und im County vor Gericht gestellt werden. Du kannst mir glauben, wenn ich sage, dass ich mit Ona und ihrer Gallenblase mitfühle.“ Sie machte eine kurze Pause. „Aber das bedeutet nicht, dass ich dem Komitee beitreten werde.“
Toms Wangen färbten sich rot, und er räusperte sich. „Um ehrlich zu sein … wir hatten eigentlich gehofft, du würdest sogar die Leitung übernehmen.“
Wieder dachte Melissa an ihre Geschwister. Olivia, die Tierärztin, schien eine Verwandte von Dr. Doolittle zu sein, da sie sich auf irgendeine sonderbare telepathische Weise mit den Tieren verständigen konnte. Sie kümmerte sich neben ihrer Praxis um die Leitung des hochmodernen örtlichen Tierheims und leitete auch noch die dazugehörige Stiftung.
Ashley widmete sich ständig irgendwelchen Wohltätigkeitsveranstaltungen, für die sie Spenden sammelte. Und ihr Bruder Brad hatte es zum Superstar unter den Countrymusikern geschafft, auch wenn er seit seiner Heirat mit Meg McKettrick mehr oder weniger im Ruhestand war. Seine Vorliebe war es, äußerst großzügige Schecks für jeden guten Zweck auszustellen, den er für unterstützenswert hielt. Außerdem gab er von Zeit zu Zeit Konzerte, deren Einnahmen er Bedürftigen stiftete.
„Du redest mit der falschen O’Ballivan“, entgegnete sie, auch wenn sie sich wie ein Drückeberger fühlte. Ihre Geschwister übertrieben es ganz einfach mit der Wohltätigkeit, was sie selbst in ein schlechtes Licht rückte. „Frag lieber Olivia … oder Ashley. Oder noch besser: Lass dir von Brad eine Parade
kaufen
.“
„Olivia hat keine Zeit, Ashley ist nicht in der Stadt, und Brad hat mit der Stone-Creek-Ranch alle Hände voll zu …“
„Nein“, unterbrach Melissa ihn. „Ich meine das ganz ernst. Ich tauge nicht dazu, eine Parade zu organisieren. Ich habe Dutzende Festumzüge gesehen, hier in der Stadt, im Fernsehen und im Kino, aber das sind auch schon alle Erfahrungen, die ich vorweisen kann. Ich wüsste nicht mal, wo ich anfangen sollte.“
„Meinst du etwa, Tante Ona war eine Expertin für Paraden, als sie den Job übernommen hat? Von wegen. Sie hat einfach die Ärmel hochgekrempelt und sich in die Arbeit hineingekniet. Was sie wissen musste, hat sie dabei gelernt.“
„Es muss doch noch irgendjemanden geben, der das übernehmen kann“, wandte Melissa ein.
Doch Tom schüttelte energisch den Kopf. „Wir haben das Komitee, das sich um das leibliche Wohl kümmert, und das für die kunsthandwerkliche Ausstellung und für die Kirmes. Jeder ist schon irgendwo als Freiwilliger eingespannt, anderweitig beschäftigt oder derzeit nicht in der Stadt.“
Trotzig schob sie das Kinn vor. Zugegeben, sie bekam allmählich ein schlechtes Gewissen; das bedeutete allerdings nicht, dass sie nachgeben würde.
Aus dem Vorzimmer hörte sie Andrea irgendjemanden fröhlich begrüßen. Im nächsten Moment bemerkte Melissa eine sonderbare Anspannung in der Luft, wie eine elektrisch aufgeladene Atmosphäre kurz vor einem Sommergewitter.
„Dann werdet ihr die Parade wohl absagen müssen“, gab sie schließlich zurück.
Kaum hatte sie das gesagt, da stürmte der kleine Junge, den sie morgens im Café gesehen hatte, in ihr Büro.
Er sah zuerst Tom und dann Melissa an. In seine tiefblauen Augen trat ein Schatten, seine Unterlippe zitterte.
„Die Parade fällt aus?“, fragte er ungläubig.
2. KAPITEL
S teven war nicht schnell genug, als er versuchte, Matt davon abzuhalten, durch die geöffnete Tür in das Büro dahinter zu laufen. Als er ihn endlich zu fassen bekam, war der Junge schon so weit vorgedrungen, dass Steven die ausgesprochen scharfe Frau erblickte, die am
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