Die Creeds: Wo die Hoffnung lebt
Koppel vorbei und blieb stehen, um Firefly zu bewundern, der an diesem kühlen, aber sonnigen Nachmittag die ganze Fläche für sich allein hatte. Er stand vor dem blauen Himmel, und seine Schönheit raubte ihr fast den Atem.
Als er den großen Kopf aufwarf und sich ihr gemächlichnäherte, blieb sie reglos stehen. Dann hob sie vorsichtig die Hand, um seine samtigen Nüstern zu streicheln. Wenn sie ausreiten wollte, stopfte sie sich gewöhnlich ein paar Möhren in die Jackentaschen, bevor sie von zu Hause aufbrach. Heute hatte sie den Entschluss allerdings spontan gefasst – als Kurzschlussreaktion auf Brodys Kuss.
„Tut mir leid, Freundchen“, sagte sie. „Heute keine Möhren, aber beim nächsten Mal vergesse ich sie bestimmt nicht.“
Darauf nickte Firefly, als wollte er sein Verständnis ausdrücken, und Carolyns Laune hob sich ein wenig. Pferde wirkten auf sie wie eine Art Therapie. Schon als Kind beim Ställeausmisten und Heuballen-Aufschichten hatte sie sich allein in der Gegenwart der Tiere immer gleich viel besser gefühlt.
„Dich würde ich zu gern mal reiten“, fuhr sie fort. „Aber du bist tabu.“
Er reckte den langen Hals über die oberste Zaunlatte, und Carolyn tätschelte ihn liebevoll, bevor sie weiterging.
Abgesehen davon, dass sie zum Reiten herkam, wann immer sie Lust darauf hatte und ihre Zeit es erlaubte, hatte Carolyn auch oft das Haus gehütet und die Pferde versorgt, wenn Davis und Kim mit dem Auto verreist waren. Darum fühlte sie sich im Stall wie zu Hause. Carolyn glaubte sogar, wenn sie blind wäre, würde sie immer noch auf Anhieb die Sattelkammer finden, um den Sattel und das Zaumzeug zu holen, das Kim ihr geschenkt hatte, und die Pintostute Blossom zu satteln.
Das Pferd kannte Weg und Steg auf der Ranch auswendig. Blossom durchquerte auch die Bäche, ohne zu zögern. Außerdem war sie trittsicher wie ein Maultier im Grand Canyon. Sie scheute weder vor Schlangen noch Kaninchen, und Carolyn hatte noch nie erlebt, dass sie bockte oder mit ihrem Reiter durchging.
Blossom begrüßte Carolyn mit einem freundschaftlichen Wiehern.
Fünf Minuten später waren beide draußen unter dem beinahe schmerzhaft schönen blauen Himmel. Carolyn ruckte an einem Steigbügel, um sich zu vergewissern, dass der Sattelgurt fest genug gezogen war, dann saß sie auf.
Als sie im Sattel saß, kamen ihre strapazierten Nerven zur Ruhe. Ihr Puls und ihr Atem beruhigten sich, und ein Lächeln erhellte ihr Gesicht.
Sie dirigierte Blossom in Richtung auf das grüne Vorgebirge, in entgegengesetzter Richtung zum Haupthaus und fort von der Gebirgskette, immer noch darauf bedacht, wenn irgend möglich Brody aus dem Weg zu gehen. Doch abgesehen davon überließ sie es der Stute, sich selbst ihren Weg zu suchen.
Blossom trottete gemächlich daher und blieb stehen, um aus dem eisigen mäandernden Bach zu trinken, bevor sie ihn unter großem Geplatsche zur höher gelegenen Wiese, einem von Carolyns Lieblingsplätzen, hin durchquerte.
Hier blühten Wildblumen im Überfluss, gelb und rosa, blau und weiß, und das Gras stand hoch und üppig. Von der Gebirgskette aus konnte Carolyn nicht nur den Fluss, sondern auch Lonesome Bend am jenseitigen Ufer sehen.
Brodys neues Haus samt Stall, beides ziemlich große Gebäude, sahen in der Ferne wie Spielzeug aus. Die Arbeiter waren nicht größer als Ameisen, die über die Gerüste krabbelten, und der Baulärm erreichte ihr Ohr nicht, obwohl das Pferd ihn vermutlich hörte.
Zur Belohnung für den Aufstieg ins höhere Gelände graste Blossom, und Carolyn richtete sich in den Steigbügeln auf, um noch weiter sehen zu können.
Dort war der Highway in Richtung Denver und über die Stadt hinaus.
Unmittelbar nach Brodys Rückkehr vor einem Jahr hatte Carolyn erwogen, ihre Sachen zu packen und dieser Straße zu folgen, wohin sie auch führen mochte – wie in ihrem früherenLeben ohne klares Ziel vor Augen.
Nur irgendwohin weit fort.
Doch ihr starrsinniger Stolz hatte sie gerettet.
Sie liebte Lonesome Bend und seine Einwohner.
Hier hatte sie Freunde, eine Büchereikarte, ein Kundenkreditkonto im Baumarkt. Für die Verhältnisse der meisten Leute nicht viel, vermutete Carolyn, doch ihr war es wichtig. Fortzuziehen hätte bedeutet, irgendwo anders ganz von vorn anfangen zu müssen, und die Vorstellung ärgerte sie maßlos.
Sie hatte beschlossen, nicht klein beizugeben. Schließlich würde Brody sich früher oder später bestimmt wieder aus dem Staub machen, so war er nun
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