Die Crock-Expedition
ausgestreckt, das noch nicht geleert war. Wegen der Schwerelosigkeit besaß es ein Ventil; und Rachel war an ihren Platz geschnallt. Die Gurtverschlüsse hingen über ihren Schenkeln.
Ihre Miene, obschon wie versteinert, war nicht gänzlich ausdruckslos. Ihre Augen waren noch geöffnet; in ein paar Minuten würden sie sich infolge der Schutzreaktion des vegetativen Nervensystems allmählich schließen. Das Gesicht widerspiegelte nie, was sich im Chronophantasmus abspielte, im Gegensatz zu gewöhnlichen Träumen, außer womöglich in den letzten paar Sekunden vor dem Erwachen.
Er hätte sie ohne weiteres an ihrem Platz zurücklassen können. Angeschnallt befand sie sich in völliger Sicherheit. Aber als einem Mädchen gewährte man ihr gewöhnlich ein gewisses Privatleben. Für eine schlafende Schönheit war es ein wenig unerfreulich, öffentlich – und selbst ohne den Schutz eines Glaskastens – ausgestellt zu sein.
So löste er die Gurte, packte ihren Arm und schwamm behutsam mit ihr zu ihrer Kabine. Dort erwog er ernsthaft, sie ihres Satinanzugs zu entledigen, denn die Quasihitze des Überlichtflugs ließ sich am leichtesten ertragen, indem man nackt schlief und locker befestigt in der Luft schwebte. Dennoch, sie würde sein Verhalten kaum gutheißen, und er konnte es ihr nicht vorwerfen.
Dann suchte er Springs Kabine auf, der gleichfalls schwebte, am Knöchel verankert. Der Captain, obwohl im Zustand tiefer Bewußtlosigkeit, strahlte eine enorme Hitze aus. Blake entkleidete ihn bis zur Hüfte, nahm ihm jedoch nicht die Hosen, weil er den Knöchel hätte losbinden und dann große Unannehmlichkeiten mit Springs brutheißem Körper ausstehen müssen, und Blake fühlte sich selbst scheußlich heiß. Was er seit Wiedererlangung seines Bewußtseins unternommen hatte, konnte während eines Überlichtflugs als reichlich sogenannte hektische Aktivität gelten.
Im Kontrollraum angelangt, überzeugte er sich davon, daß alles in Ordnung war, eine Maßnahme, die nicht viel Zeit erforderte, weil es im Überlichtflug im Kontrollraum nichts zu kontrollieren und nichts zu sehen gab. Die Bildschirme, die im Normalraum den Ausblick ins Weltall gestatteten, funktionierten während des Überlichtflugs ebenfalls nicht; das war kein Verlust – der Wahnsinn von einem Universum, den Blake durch eine Transparentfläche erblickt hätte, würde ihm nicht die geringsten Aufschlüsse geliefert haben.
Er kehrte in den Korridor zurück und schob sich am alten Nevil vorbei, aufwärts, wie es ihm schien; doch im Freien Fall schien jede Richtung ›aufwärts‹ zu führen.
Er passierte Suzys Tür, die im Überlichtflug immer abgeschlossen war. Wenn sie sich außer Betrieb befand, war es besser, daß niemand sie sah – jemand könnte die Geduld verlieren und sie in Stücke schlagen.
Dann betrat er die seltsame, stinkende Welt des Überlichtantriebs. Hier allein ließ ein im Überlichtflug befindliches Raumschiff sich kontrollieren: dies war der einzige Teil des Schiffs, von dem man wußte, daß er gegenwärtig funktionierte und zu welchem Zweck.
Die verwaschenen Phänomene verschwammen langsam gänzlich und bildeten neue Erscheinungen. Er sah nur das wie üblich matte Licht. Blake hatte sich oftmals gefragt, ob der Überlichtantrieb, sollte man seine Phänomene jemals uneingeschränkt erfahren können, seine Schrecken verlieren oder sich als noch weitaus schrecklicher erweisen würde.
Aus langer Erfahrung wußte er, daß der Helligkeitseffekt seinen Prozeßcharakter verlangsamte, sobald der Überlichtflug sich seinem Ende näherte, nur noch ein Subjektivjahr oder weniger währen würde. Dennoch war es gut, daß er sich nun informiert hatte. Die Kenntnis der Frist verstärkte das Bewußtsein seiner Verantwortung, der Tatsache, daß er allein war, ausgedehnte Chronophantasmen vermeiden mußte, obwohl er sich sicherlich ein paar kurze Trips würde erlauben können, wenn er die Jahresfrist im Gedächtnis verankerte und sich darauf verließ, daß dieser Gedächtniswecker funktionierte.
Er verließ das Gewölbe des Überlichttriebwerks, suchte erneut den Kontrollraum auf und schnallte sich dort fest, in der Erwartung, zwecks Zeitvertreib in einem weiteren Chrono zu verschwinden. Aber seine Erwartung wurde enttäuscht, und so legte er die Kassette mit Tolstois Krieg und Frieden ins Bildgerät und las. Nachher war er ziemlich hungrig und erinnerte sich, daß er, als er mit Rachel in der Kantine gewesen war, seine nächste Mahlzeit nach
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