Die Crock-Expedition
Eisprinzessin von CHART 427 bleiben solltest.«
»Ich vermute, ich habe dein Benehmen herausgefordert«, sagte sie frostig, »weil ich dachte, du seist erwachsen genug, um nicht über ein ausnahmsweise leicht bekleidetes Mädchen herzufallen …«
»Oh, erzähle mir doch nicht solchen Scheißdreck, Rachel. Das ist das Zeug, von dem du glaubst, daß du’s sagen mußt. Sprich einmal so, wie dir wirklich zumute ist, oder halte den Mund.«
»Anscheinend kannst du eine Unterhaltung sowieso ganz gut allein führen.«
»Warum gehst du immer in die Defensive? Immerhin bist du nicht unbegrenzt züchtig. Das finde ich interessant. Du gibst zwar Antworten, aber sie besagen nichts … Rachel, ich nehme an, du bist wirklich Clems Tochter?«
Darauf reagierte sie nur mit einem starren Blick.
»Das ist es also nicht. Aber es muß einen Grund haben, daß du und er so unzertrennlich seid. Ein Geheimnis.«
»Kein Geheimnis. Frage Clem. Ich glaube, er trägt sich ohnehin mit dem Gedanken, demnächst mit dir darüber zu sprechen. Aber woher stammte dieser seltsame Einfall, ich könne nicht seine Tochter sein?«
»Raumfahrer leben in einer seltsamen Zeit, einer der Überlichtflüge, der Zeitfalte, des Tiefschlafs und Halbschlafs. Es gibt Mädchen, die jünger als du aussehen, aber vor einem Jahrhundert geboren wurden. Ich wurde vor sechzig Jahren geboren, doch ich zähle mein Alter mit siebenundzwanzig – und ich kann noch um ein Jahrhundert älter werden, falls ich Raumfahrer bleibe. Du könntest also – irgendwie – die Frau des Alten sein, oder seine Mutter oder eine Schwester. Jeder ahnt, daß ihr ein Geheimnis besitzt, und das Gerücht vom Inzest ist nur einer jener Versuche, es zu enträtseln …«
»Marie …!«
Es war ein zittriges Flüstern. Im nächsten Moment verschwand Rachel, ohne zur Tür zu blicken, hinter dem mächtigen Hauptkontrollpult. Blake drehte sich um, und Spring schüttelte den Kopf. »Geheimnis? Marie und ich … Rachel, meine ich …?« Er murmelte. »Es gibt kein Geheimnis. Ich wußte nicht, daß du neugierig bist, Ken. Du hast niemals Fragen gestellt.«
Während er sprach, gewann er allmählich die Selbstbeherrschung zurück. Doch er sah müde, alt und krank aus. Das war eigentümlich. Am Ende von vergleichsweise kurzen Überlichtflügen pflegte er jung und tatkräftig zu wirken. Nach jener Art von Rechnung, die Blake kurz vorher bezüglich der eigenen Person vorgenommen hatte, war Spring erst fünfunddreißig, und gewöhnlich sah er auch so aus.
Aber gegenwärtig nicht.
Rachel kam wieder zum Vorschein und hatte eine Jacke und Hosen übergestreift; Blake runzelte nachdenklich die Stirn – nun war es offensichtlich, daß ihre übertrieben sittsamen Bekleidungsgewohnheiten mit Spring im Zusammenhang standen.
Diesmal schenkte Spring ihr kaum Beachtung. »Würdest du in meine Kabine kommen?« fragte er Blake.
Rachel setzte sich gewohnheitsmäßig in Bewegung. »Nein, du nicht, Rachel«, sagte Spring, und plötzlich fiel Blake auf, daß Rachel und Spring seit der Landung der 427 auf Wysteria kaum eine Stunde miteinander verbracht hatten, was auch der Grund sein mochte.
Veränderungen waren im Gange. Und Rachel wußte es. Er trüge sich mit dem Gedanken, mit ihm zu sprechen, hatte sie gemeint.
»Sicherlich«, sagte Blake.
In seiner Kabine ließ Spring sich matt in seine Koje sinken. »Natürlich sind es Schuldgefühle, die mich plagen, wie du wahrscheinlich vermutet hast. Schuld an Maries Tod. Und Rachel. Weil ich Rachel mitgenommen habe.«
Obwohl Blake die Zusammenhänge trotz der Sprunghaftigkeit des Captains begriff, sagte er leise: »Warum beginnst du nicht am Anfang, Clem?«
Während Spring mit geschlossenen Augen sprach, sank er allmählich in einen Quasichronophantasmus, gleichartig wie es Blake in der wysterischen Bar ergangen war, und bemerkte kaum noch, daß er redete, hatte Blake womöglich vergessen.
Auch Blake sank langsam auf die Koje und schloß die Augen, nahezu hypnotisiert von der Stimme, die ihm vertrauter war als die eigene. Minuten verstrichen, und dann überkam ihn ebenfalls ein Quasichronophantasmus, einer der imaginativen Art, und er vermochte jene Dinge, die Spring schilderte, beinahe zu sehen …
A. D. 2198 – ACHTZEHN JAHRE ZUVOR
»Ja, Liebling«, sagte Marie schläfrig, »das meine ich.«
»Schatz, wirklich? Bist du sicher?«
Marie vermochte inmitten eines Worts einzuschlafen. Einem eigenen. Erst recht konnte sie also einschlafen, während jemand zwei
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