Die Cromwell Chroniken - Schicksals Pfade (German Edition)
Verhältnis zu dem älteren Ehepaar war sehr herzlich gewesen. Von Leonhard hatte der junge Mann erfahren, was es hieß, Gott zu lieben und die Aufgaben in seinem Dienste dankbar anzunehmen. Viele Jahre war er dort glücklich gewesen, bis zum Tod des Pfarrers. Der alte Mann hatte sich eine Virusinfektion zugezogen, welche die inneren Organe in Mitleidenschaft gezogen hatte. Graciano hatte den Kranken über Wochen täglich im Krankenhaus besucht und für ihn gebetet. Vergebens. Der Pfarrer war gestorben und es hatte Graciano das Herz gebrochen. Allein sein Glaube hatte ihn durch diese schlimme Zeit getragen. Heute, als Erwachsener, war der Schmerz von damals nicht mehr als eine blasse Erinnerung, doch die Rückkehr an einen Ort, der dem damaligen so sehr ähnelte, hatte alle verschütteten Empfindungen wieder aus dem Dunkel gerissen. Graciano meinte, innerlich zu vergehen, wenn er noch länger hierbleiben müsste. Auf der anderen Seite hatte er großes Mitgefühl für die Patienten.
Wenn es schon für mich so schlimm ist, wie viel schlimmer muss es erst für sie sein?
In dem Moment fasste er einen Entschluss. Er beschloss, alles zu tun, um den Kranken eine Möglichkeit zu geben, getrost und friedlich in die Arme ihres Schöpfers zurückzukehren, wenn er sie rief.
Mit diesem Gedanken schlief er zufrieden ein.
Tamara konnte nicht schlafen. Jedes Geräusch war ihr fremd und machte sie unruhig.
Das kann ja heiter werden! Vermutlich falle ich wegen Schlafmangels durch die Prüfung , dachte sie grimmig.
Die Stunden vergingen. Wie spät mochte es mittlerweile sein?
Je mehr Zeit verstrich, desto schlechter wurde ihre Laune. Außerdem kamen ihre Kopfschmerzen zurück.
Ein Rascheln ließ sie plötzlich zusammenzucken.
Was war das? Ein Tier?
Wieder erklang das leise Rascheln.
Was für Tiere gibt es überhaupt im Schwarzwald? Hasen? Füchse?
In der Ferne knackte ein Ast.
Da läuft jemand durch den Wald! Oder es steht jemand im Gebüsch und beobachtet mich!
Sie atmete möglichst leise, um jedes Geräusch wahrzunehmen. Aber sie vermochte nur das Pochen ihres Herzens zu hören, das immer schneller zu klopfen schien. Ihre Hände wurden feucht und Hitze stieg in ihr auf.
Was haben die sich überhaupt dabei gedacht, mich hierher zu schicken? Ich hasse Campen!
Was sie als Nächstes vernahm, ließ ihr den Atem stocken: Durch den Wald drang das wehklagende Heulen eines Wolfes.
Eilig zog sie am Reißverschluss ihres Schlafsacks, der sich nicht rühren wollte. Der Stoff klemmte dazwischen und Tamara zerrte verzweifelt daran.
Wieder ertönte ein Heulen – diesmal schien es ganz nah zu sein.
Und plötzlich brach draußen ein Tumult los. Kampfeslärm drang an Tamaras Ohren. Er war so beängstigend laut, dass sie befürchtete, jeden Moment die Schatten der kämpfenden Tiere direkt vor ihrem Zelt entdecken zu müssen. Doch die furchteinflößenden Geräusche näherten sich nicht weiter. Endlich gelang es der Studentin, sich aus ihrem Nachtlager zu befreien.
Ich brauche eine Waffe , dachte die Hexe zitternd. Denn eines stand für sie fest: Unbewaffnet würde sie diesen momentan sicheren Ort nicht verlassen. Drinnen bleiben konnte sie aber auch nicht, denn womöglich war diese nächtliche Unruhe Teil ihrer Prüfung.
Und ich bleibe sicher nicht in meinem Zelt liegen, wenn sich hier gerade zwei Wölfe zerfleischen! Wer weiß, vielleicht wird ihnen das Zerfleischen irgendwann zu langweilig und sie kriegen Hunger?
Dass es sich um mindestens zwei lupine Exemplare handeln musste, war für sie eindeutig.
Ein Wolf kann ja schließlich nicht mit sich selbst kämpfen.
Eine gewöhnliche Jagd konnte es allerdings auch nicht sein, weil sich das „Opfer“ dafür zu heftig zur Wehr setzte. Also musste es sich um einen mindestens ebenbürtigen Partner handeln.
In Gedanken ging sie ihr Hab und Gut durch.
Nichts, was sich als Waffe eignen würde. Mein Taschenmesser höchstens, aber das ist ein Witz!
Sie stellte sich vor, wie sie sich mit ihrer acht Zentimeter langen Klinge vor einen ausgewachsenen Wolf, ein Raubtier, stellte und sich damit verteidigen wollte.
Das kann ich vergessen.
Blieb nur noch die Taschenlampe. Die war zumindest schwer. Damit konnte sie dem Wolf eins drüberziehen.
Theoretisch jedenfalls …
Während sie noch darüber nachgrübelte, ob eine Wicce überhaupt Gewalt bei Tieren anwenden durfte ( Natürlich nur zur Selbstverteidigung! ), beeilte sie sich, ihre Schuhe anzuziehen. Die Geräusche hatten sich entfernt
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