Die Cromwell Chroniken - Schicksals Pfade (German Edition)
sie damit den Fuß an.
Keine Regung.
Langsam lehnte sie sich ein Stück vor und wiederholte ihr Manöver. Diesmal etwas energischer.
Nichts.
Sie nahm all ihren Mut zusammen und kroch auf allen vieren etwas näher. Dank der Taschenlampe konnte sie, halb verdeckt von Ästen und Gräsern, die Konturen des restlichen Körpers ausmachen.
Oh Mann! Ich will hier keine Leiche finden! Ach, komm schon, das ist doch jetzt keine Leiche, oder? Wäh! Mir wird schlecht!
Mit spürbar wachsendem Widerwillen kroch Tamara noch ein Stück näher. Nun konnte sie erkennen, dass die Person hochgewachsen war und auf dem Bauch lag. Und – der restliche Körper war so nackt wie der Fuß.
Zumindest muss ich dann kein entstelltes Gesicht sehen. Okay, ich fasse kurz an seinen Arm. Das verkrafte ich. Arme sind unverfänglich. Dann merke ich wenigstens, ob er schon kalt ist.
Sie streckte voller Unbehagen ihre Rechte aus und berührte leicht die Haut der Person.
Warm! Sie ist warm!
Ihr erstes Gefühl war Erleichterung. Einen Toten im Wald zu entdecken, gehörte nicht zu den Dingen, die oben auf ihrer „Will-ich-unbedingt-mal-erlebt-haben“-Liste standen. Doch ihre Erleichterung schwand, als sie länger darüber nachdachte, was das bedeutete.
Ich muss ihm helfen! Toll, dafür bin ich supergut geeignet. Was, wenn ich etwas falsch mache und er stirbt? Dann hätte ich nicht nur meine Prüfung versaut, sondern würde diese Last mein Leben lang mit mir herumschleppen!
Wäh, ich will nicht! Ich sollte Britta anfunken, damit sie kommt und es selbst macht.
Doch Britta würde für eine ganze Weile ihr Funkgerät nicht anschalten. Außer der jungen Frau war höchstens noch ein anderer kampfwütiger Wolf im Wald – und dem wollte die Hexe lieber nicht begegnen.
Sehr zögerlich legte sie daher ihre Fingerkuppen an den Hals des Liegenden.
Warm, aber kein Puls!
Das musste jedoch nichts heißen. Es war dunkel und sie hatte noch nie zuvor bei einer anderen Person den Puls gefühlt.
Nach einer Weile des Tastens und Suchens gab sie auf.
Ich versuche es mal mit dem Herzschlag. Oder der Atmung. Das ist bedeutend einfacher.
Dafür musste sie aber den Körper ihres Gegenübers umdrehen.
Tamara schluckte schwer, positionierte jedoch dann die Taschenlampe so auf einem Stein, dass sie ihr Licht auf den Boden und den Körper warf. Leise murrend und ächzend machte sie sich daran, die Person umzudrehen. Da sie aber gleichzeitig so wenig Hand wie möglich an den Fremden legen wollte, war das komplizierter als gedacht.
Mann, ist das schwer! Wie kann man nur so viel wiegen, wenn man nicht mal Kleider anhat? Ächz!
Ihre Gedanken waren ein beständiger Monolog aus Flüchen und Verwünschungen. Das gab der Hexe Kraft. Endlich kippte ihr Gegenüber auf den Rücken. Tamara atmete tief durch und griff nach der Taschenlampe.
Wurde aber auch Zeit! Wollen wir doch mal sehen, wen wir hier haben …
Was sie sah, verschlug ihr die Sprache: Auf der sich langsam hebenden und senkenden Brust erkannte sie vier blutige Striemen, die sich quer über die Haut und durch das Fleisch zogen. Erde hatte die Wunden verdreckt, aus denen immer noch langsam Blut sickerte.
Wenigstens war ihre Frage nun beantwortet. Die Person am Boden lebte. Um genau zu sein: Der Mann am Boden lebte!
Oh Mann! Hier liegt ein Verletzter mitten im Wald und ich und er sind mutterseelenallein!
Das überraschte Tamara jedoch wenig. Sie hatte längst erkannt, dass ihre Ordensprüfung sehr viel Unerfreuliches für sie bereithalten würde. Ein nackter, bewusstloser Mann schien ihr da im Moment völlig harmlos.
Was die Hexe nicht sah, hätte sie allerdings wirklich zu beunruhigen vermocht: Nur wenige Meter von dem jungen Mann entfernt hatte jemand einen Steinkreis auf den Boden gelegt. Fremdartige Symbole zeichneten die Eckpunkte jeder steinernen Linie, die den Kreis durchzog. Doch das Erschreckende war nicht die fremde Symbolik – es war das Blut, welches die Steine benetzte.
Kapitel 21
Flint schloss die Tür und warf sich auf sein Bett. Valerian war noch immer nicht zurückgekehrt.
Wenn er überhaupt noch in Cromwell ist , dachte der Geisterseher.
Nun war er allein und nichts lenkte ihn mehr von seinen trübsinnigen Gedanken ab.
Flint kam sich betrogen vor. Als Fowler ihn in der Psychiatrie aufgesucht hatte, war ihm eine bessere Umgebung, ein besseres Leben versprochen worden. Für das letzte Jahr konnte man das Versprechen auch als erfüllt betrachten, doch die Prüfung riss ihn wieder aus
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