Die Cromwell Chroniken - Schicksals Pfade (German Edition)
Kilometer muss ich den denn noch schleifen?
Tamara hielt an und sah sich um. Sie hatte dem Fremden ihre Jacke übergestreift. Dann ist er wenigstens ein wenig bedeckt.
Es war ihr immer noch peinlich, dass sie einen nackten Mann mit sich zog, doch sie wollte ihn nicht einfach so im Wald liegen lassen. Immerhin hatte der Wolf ihn dort schon einmal aufgespürt und übel zugerichtet.
Es schienen Stunden vergangen zu sein, als sie endlich ihr Zelt erreichte. Sie zog den Verletzten ins Innere und bugsierte ihn mühsam in ihren Schlafsack. Da dieser ihn nun von der Hüfte abwärts verhüllte, fiel es ihr wesentlich leichter, sich auf ihre bevorstehende Aufgabe zu konzentrieren. Sie wollte die Wunden versorgen. Dafür kam ihr jetzt der überdimensionale Erste-Hilfe-Koffer gelegen.
Okay, was brauche ich davon?
Sie leuchtete mit ihrer Taschenlampe hinein und griff schließlich nach einem Desinfektions-Spray. Normalerweise scheute sie sich, so ein Spray direkt auf eine offene Wunde zu sprühen, doch sie hatte nichts anderes zur Hand und ihr unfreiwilliger Patient war nicht bei Bewusstsein.
Tamara sprühte. Das Desinfektionsmittel vermischte sich mit dem Blut und lief in kleinen Rinnsalen über die Haut des Mannes in Richtung ihrer Isomatte. Schnell schnappte sie sich eine Binde und wischte die verschmutzte Flüssigkeit auf.
Danach besah sich die Hexe etwas ratlos ihr Werk und beschloss, dass nichts Schlimmes passieren konnte, wenn sie nur allen Schmutz aus der Wunde spülte.
Na ja, so lange ich ihn nicht dabei umbringe …
Also sprühte sie die komplette Flasche leer und beruhigte somit zumindest ein wenig ihr schlechtes Gewissen.
Schließlich kann ich nichts dafür, dass es stockdunkel ist und ich nicht die Zeit habe, mir erst eine Stunde lang die Packungsbeilage durchzulesen. So kann man wenigstens nicht behaupten, ich hätte mich nicht bemüht.
Sie wartete, bis die Haut nicht mehr feucht war, um mit der Prozedur fortzufahren. Dabei bemerkte sie, dass die Kratzspuren des Wolfes nicht so tief waren, wie sie zuerst vermutet hatte. Zur Sicherheit leuchtete sie nochmals mit ihrer Taschenlampe über die Wunde.
Merkwürdig … Ich hätte schwören können, dass die Krallenspuren tiefer waren. Hm … Muss wohl ein Schatten gewesen sein. Na ja, hat er eben Glück gehabt.
Sie verzichtete auf einen Verband und klebte stattdessen große gepolsterte Wundpflaster auf die Striemen. Abschließend zog sie den Reißverschluss des Schlafsacks komplett nach oben und begutachtete ihr Werk. Ein kurzer Schwenk mit der Taschenlampe ließ sie zum ersten Mal einen Blick auf das Gesicht ihres Patienten erhaschen.
Wow! Nicht schlecht!
Ein junger Mann, vermutlich in ihrem Alter, mit ebenmäßigen Zügen und braunem Haar wurde von dem spärlichen Licht erhellt. Er wirkte unnatürlich blass, doch diesen Umstand erklärte sich Tamara durch den Blutverlust.
Hoffentlich kommt er durch. Ich will echt keine Leiche in meinem Schlafsack haben. Warum hat diese dumme Britta mir auch mein Handy weggenommen? Jetzt, wo ich zum ersten Mal einen echten Notfall habe! Super Tutorin! Kein bisschen vorausschauend, die Gute. Wird Zeit, dass eine neue Liga von WICCA die Führung übernimmt. Die sind doch alle eindeutig von gestern. Überholte Altjungfern.
Sie beobachtete den ansehnlichen Fremden noch eine Weile, ehe sie ihre Lichtquelle ausknipste und sich selbst zum Schlafen hinlegte.
Das kleine Ein-Personen-Zelt war nicht dafür gedacht, zwei Menschen und einen überdimensionalen Rucksack zu beherbergen. Tamara musste aus Mangel an Platz und einer Unterlage auf ihrem Rucksack liegen. Das war weder angenehm noch erholsam. Seufzend dachte sie an ihr Bett, das zu Hause stand und vermutlich sehnsüchtig auf sie wartete. Noch nie hatte ihr die alte Matratze so sehr gefehlt wie in diesem Moment.
Was tut man nicht alles für so eine dämliche Ordensprüfung?
Seufzend schloss sie die Augen und hoffte, dass sie die Nacht bald überstanden haben würde.
Kapitel 24
Der nächste Morgen fühlte sich herrlich an. Valerian – endlich mit einem Sieg versprechenden Plan gerüstet – konnte es nicht erwarten, den Geistern erneut einen Besuch abzustatten.
„Ha! Ich krieg euch, ihr alten Bastarde!“
„Hm?“
Flint sah ihn verschlafen an. Erst jetzt fiel Valerian auf, dass er laut gesprochen hatte. Er grinste den angehenden UMBRATICUS DICIO verlegen an.
„Die Geister. Ich weiß jetzt, was los ist.“
Er hob bedeutungsvoll die Brauen und frottierte seine Haare.
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