Die Cromwell Chroniken - Schicksals Pfade (German Edition)
griff sofort die Sitzung des vergangenen Tages auf.
„Gab es irgendwelche Nachwirkungen von gestern?“, wollte der Professor wissen.
„Nachwirkungen?“
„Ja. Hatten Sie unruhige Träume? Gefühle von Beklemmung? Oder irgendetwas Ungewöhnliches?“
„Nicht unruhiger als gewöhnlich.“
Noch diplomatischer geht es nicht.
Desmondo nickte und zog sich einen Schreibblock heran. Als er seinen Füllfederhalter aufschraubte, warf er dem Jüngeren einen Blick zu. „Darf ich mir zu unserem Gespräch ein paar Notizen machen?“
Flint zuckte gleichgültig mit den Schultern.
„Sicher. Von mir aus.“
Desmondo schrieb etwas auf das oberste Blatt und heftete dann seinen durchdringenden Blick wieder auf den Studenten. Flint wich diesem aus und sah stattdessen auf seine Hände.
„Sind Ihnen nach der letzten Sitzung noch einmal Bilder der Hypnose in den Sinn gekommen?“
Flint hob die Brauen. „Sie meinen … von Ballspielen und Parkausflügen? Nein. Nicht, dass ich wüsste.“
Der Professor starrte ihn wortlos an, ehe er sich eine Notiz machte. Flint ärgerte sich darüber, dass er so patzige Antworten gab.
Er kann schließlich nichts dafür, dass mir das alles zu schaffen macht. Ist ja nicht so, als hätte er mir diese Fähigkeiten aufgedrückt. Aber er hat echt ein Talent dafür, die wunden Punkte anzusprechen.
Der junge Geisterseher fragte er sich, was wohl als Nächstes kommen würde. Würde Desmondo seine ganzen Geburtstage abklappern?
Da bekäme er nichts Besonderes zu sehen.
Flint war niemand, der gern Geburtstag feierte. Das kam daher, dass er schon lange keinen wirklich guten Grund mehr dazu hatte, etwas zu feiern. In seiner Familie war das irgendwann nicht mehr fortgeführt worden. Seine Mutter hatte ihm früher wenigstens noch einen Kuchen gekauft (zum Kochen und Backen hatte sie kaum Zeit gehabt) und eine symbolische Kerze darauf gesteckt. Da Flint nie Freunde hatte, waren die Geburtstage immer sehr still und einsam gewesen. Seine Eltern hatten sich später mit dem Rest der Familie zerstritten und seine Großeltern waren daher nicht mehr zu Besuch gekommen. So kam es, dass der Junge gelernt hatte, seine Geburtstage so gut wie möglich zu verpassen. Nach dem Tod seiner Mutter hatte es überhaupt kein Zeremoniell mehr gegeben. Keinen Kuchen, keine Kerze, kein Geschenk.
Wer hätte es auch machen sollen?
Die Stimme des Professors holte ihn wieder ins Hier und Jetzt zurück.
„Vermutlich fragen Sie sich bereits, welches Thema in Ihrer Vergangenheit wir heute angehen wollen“, meldete sich Desmondo von seinen Aufzeichnungen zurück.
„Hm“, machte Flint wenig begeistert.
Wie gewöhnlich verzog der Professor keine Miene.
„Nach allem, was ich höre, scheint der Testlauf von gestern gut funktioniert zu haben. Ich habe Sie ganz bewusst an einen Ort geführt, der bei Ihnen Behagen auslösen sollte. Heute möchte ich mit Ihnen einen steinigeren Weg beschreiten.“
Desmondo sah Flint prüfend an und schien auf eine Reaktion des jungen Mannes zu warten. Der Student hatte sich jedoch der Mimik seines Gegenübers angepasst und saß mit ausdruckslosem Gesicht da.
Der Professor fuhr fort: „Ich stelle mir vor, dass wir uns den schwerwiegenden Momenten in langsamen Schritten nähern. Dafür bedarf es nun Ihrer Hilfe. Welchen Augenblick in Ihrem bisherigen Leben fänden sie zweckdienlich?“
Flint gab seine starre Maske auf und runzelte die Stirn.
„Sie wollen, dass ich Ihnen einen zweckdienlichen Augenblick in meinem Leben nenne, dessen Erinnerung nicht ganz so rosig ist wie die von meinem vierten Geburtstag?“
Seine Stimme hatte sich gehoben.
„Sie klingen brüskiert“, stellte Desmondo fest.
„Ich bin brüskiert!“, stellte Flint klar.
„Welches Vorgehen würden Sie bevorzugen?“, erkundigte sich der Professor.
Nichts schien ihn aus dem Konzept bringen zu können.
„Welches Vorgehen? Das kann ich Ihnen gern sagen: Lassen wir den Mist mit der Hypnose und machen endlich eine anständige Prüfung!“
Diese Äußerung hatte das Interesse des Prüfers geweckt.
„Sie empfinden die Prüfung nicht als adäquat?“
„Ganz genau!“
„Weshalb nicht?“
Flint riss der Geduldsfaden.
Er sprang auf und rief wütend: „Weshalb? Ganz einfach: Ich soll ein Geisterseher werden. Also sollte man mich zu irgendeinem Geist schicken. Stattdessen mache ich hier Therapie. Da hätten Sie mich auch in der Klapse lassen können. Da hatte ich das auch. Und vermutlich waren die Leute dort besser
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