Die Cromwell Chroniken - Schicksals Pfade (German Edition)
Aber seine Stimme war weiterhin einschmeichelnd sanft und stand in solch einem krassen Gegensatz zu der vorherrschenden Atmosphäre, dass es dem Studenten den Magen umdrehte.
Vermutlich kennt er die Fragen schon auswendig und kann sich ganz darauf konzentrieren, mich mit seiner Gegenwart einzuschüchtern.
„Sehr zutreffen“, entschied Cendrick.
Er hatte noch immer keine Ahnung, welchen Zweck die Prüfung erfüllte. Eines stand für ihn jedoch fest: Je mehr Möglichkeiten es bei den Antworten gab, desto mehr offenbarte er von sich selbst und desto intimer würden die Fragen werden. Der junge Magier hatte die Befürchtung, dass sie bei der Durchführung noch nicht einmal an der Spitze des Eisbergs gekratzt hatten. Mittlerweile war er so mürbe, dass er nur noch ordenskonform antwortete.
Nach einer kurzen Mittagspause wurde die Befragung unbarmherzig weitergeführt. Der junge Mann saß nun schon seit Stunden auf dem Verhörstuhl und verlor zunehmend die Nerven. Er wusste nicht, über was sie alles gesprochen, was für Fragen er beantwortet hatte. Es kam ihm so vor, als säße er bereits Tage in diesem kleinen schwarzen, fensterlosen Raum, der nur von einer Glühbirne erhellt wurde. Sein Körper war schweißgebadet, obwohl er sich nicht bewegte. Sein Herz pumpte mit jedem seiner schnellen Schläge mehr und mehr Adrenalin durch seine Venen und er fühlte sich zunehmend ausgebrannt.
„Sie möchten also die Antwort verweigern?“, fragte der ältere Hetaeria Magi schließlich höflich und gefährlich zugleich.
„Ich verweigere nicht die Antwort, ich kenne sie nicht! Das ist ein Unterschied!“
„Es wird nicht erwartet, dass sie auf alle Fragen die perfekte Antwort kennen. Es wird lediglich vorausgesetzt, dass Sie auf irgendeine Art antworten. Ich frage Sie also noch einmal: Ein bewaffneter Mann dringt in Ihr Haus ein. Zugegen sind Ihre Eltern und Ihre Schwester. Der Mann wird eine Person töten. Welche sind Sie bereit zu opfern?“
Die kleine Ziege wurde hinter dem Gebäude geopfert. Die Griechen strömten aufgeregt in die Richtung, um das Spektakel mitzuerleben. Gesthimaní hatte mit Katharina Mitleid gehabt und sie waren in der Ferne stehen geblieben. Nun hieß es wieder anstehen, denn keiner der Angereisten wollte auf seine Weissagung verzichten.
„Wieso gibt es hier zwei Schlangen, in denen die Leute anstehen? Und warum ist die eine so kurz?“, interessierte sich die Studentin.
„Das kommt daher, dass sowohl die bedeutendsten als auch die reichsten Bürger Delphis bei der Befragung bevorzugt behandelt werden“, erklärte die Mentorin.
Cat runzelte die Stirn. „Das heißt, wir stehen länger an?“
Die Griechin schmunzelte. „Das zum einen. Zum anderen fällt die Befragung beim gemeinen Volk auch sehr viel weniger ausführlich aus.“
„Heißt das, sie dürfen nur eine Frage stellen?“
„Oh, jeder darf nur eine Frage stellen. Nein, nein, das ist damit nicht gemeint. Sieh dir mal die Menschen an. Was meinst du, wie viele das sind?“
Katharina sah um sich und wiegte nachdenklich den Kopf.
„Vielleicht hundert? Vielleicht zweihundert?“
Gesthimaní nickte. „Mindestens, ja. Und es ist noch früh. Warte, bis sich herumgesprochen hat, dass die Weissagungen heute stattfinden. Es werden noch viel mehr kommen. Auch von außerhalb. Was meinst du, wie lange es dauert, bis alle vor das Orakel getreten sind und ihre Frage gestellt haben?“
„Sicher Stunden.“
„Ja, ganz sicher sogar. Und die Gase unten im Tempel sind giftig. Die einzelnen Pythia halten nicht sehr lange durch. Deshalb gibt es folgende Regelung: Bist du ein reicher und angesehener Bürger, darfst du deine Frage stellen und erhältst von der Pythia Antwort. Bist du es nicht, dann darfst du nur eine Frage stellen, die mit ja oder nein beantwortet werden kann. Um diese zu beantworten, zieht die Pythia aus einem Behälter eine Bohne.“
An dieser Stelle musste Cat plötzlich lachen.
Die Griechin sah sie verständnislos an. „Was ist daran so komisch?“, wunderte sie sich.
Das Medium schüttelte verlegen den Kopf. „Ist es gar nicht. Ich … musste nur an etwas anderes denken. Also, wo waren wir? Sie zieht eine Bohne aus einem Behälter?“
„Ja, richtig. Es gibt zwei Sorten von Bohnen: schwarze und weiße. Zieht sie eine schwarze Bohne, lautet die Antwort nein. Zieht sie eine weiße, lautet sie ja. Dadurch können sehr viele Ratsuchende bedient werden.“
„Ist ja interessant. Und warum fängt es noch nicht an? Keine der
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