Die da kommen
Mund, während er spricht. »Wie sich herausgestellt hat, ist es kein Brief, sondern was viel Seltsameres. Ein paar kleine Zeichnungen und ein Handabdruck. Chens Frau sagt, das könne nicht von ihm stammen. Sie ist sehr beharrlich. Aber sie hat den Zettel neben einem kleinen Schrein in der Küchegefunden, wo sie einander immer Nachrichten hinterlassen haben. Klingt für mich also wie Wunschdenken. Wusste nicht, dass Chinesen Schreine in der Küche haben. Man lernt nie aus, was?«
Sunny Chen hat gesagt, er habe den Handabdruck im Sägewerk selbst gemacht. Gleichzeitig wollte er, dass die Polizei Fingerabdrücke nimmt. Wieso?
»Ich muss die Nachricht sehen. Hat man Fingerabdrücke genommen?« Ich greife nach meinem schwedischen Wörterbuch und blättere darin. Ich habe mir angewöhnt, Wörter, die mir gefallen, zu unterstreichen. Utveckling. Olika. Näktergal. Talartid.
»Das bezweifle ich. Aber ich frage mal nach. Ach ja, eine Sache, die dich aufmuntern wird. Whybray ist in der Stadt.«
»Professor Whybray? Wirklich?« Ich klappe das Wörterbuch zu. Der Professor ließ sich nach dem Tod seiner Frau emeritieren und zog nach Toronto. Er nannte sie »eine Stadt nach meinem Herzen«. »Was führt ihn zurück?«
»Das Innenministerium.«
Ich kenne den Professor seit achtzehn Jahren und sieben Monaten. Aber es ist drei Jahre und zwei Monate her, dass ich ihn persönlich gesehen habe. Keine Woche vergeht, in der ich mich nicht an etwas erinnere, das er mir beigebracht hat, und es anwende. Letzte Weihnachten hat er mir eine Karte geschickt. Vom alten Weisen an den jungen Gescheiten . Ich hörte förmlich, wie er es sagte. Ich verfolge Ihre Arbeit mit Interesse. Seine Stimme ist hoch und dünn und klingt immer ein bisschen heiser. Glückwunsch zur Lösung des ungarischen Rätsels. In Zuneigung – Victor. Ich habe ihn nie Victor genannt. Er machte sich darüber lustig, dass ich nicht auf seinen offiziellen Titel verzichten konnte. Ich bin aufgeregt. Spüre, wie das Blut durch mein Gehirn pulsiert.
»Um welches Projekt geht es?« Es muss etwas Großes sein,wenn er deshalb zurückgekommen ist. Etwas, an dem er sich »die Zähne ausbeißen kann«. So hat er sich gern ausgedrückt. Einer Herausforderung konnte er nie widerstehen.
»Es ist geheim, aber er hat sich nach dir erkundigt und einen Auftrag in Aussicht gestellt. Wollte wissen, ob du dich noch mit Venn beschäftigst. Also habe ich ihn gefragt, was Venn bedeutet. Und er hat gesagt, ich solle mir von Hesketh etwas beibringen lassen.«
»Damit meinte er Venn-Diagramme. Ein sehr effektives Mittel, um Vereinigungsmengen und Differenzmengen zu analysieren. Der Name stammt von dem Mathematiker John Venn, der sie in den 1880er Jahren in die Mengenlehre eingebaut hat. Wenn du nach einem Werkzeug zur schnellen Kategorisierung suchst, das anschaulich, auf den ersten Blick verständlich und flexibel genug ist, um eine unendliche Anzahl neuer Faktoren aufzunehmen, gibt es kaum etwas Besseres. Sie bestehen aus überlappenden oder ineinandergreifenden Kreisen. Du kannst auch U-Formen einbauen. Und die S-Form. Das hängt ganz von der Komplexität ab.«
»Ach so! Und ich habe immer gedacht, du zeichnest einen Haufen vögelnder Amöben. In Wirklichkeit waren das also Venn-Diagramme?«
»Ja.«
»Und ich habe gedacht, frag lieber nicht nach, was das sein soll. Hesketh ist eben Hesketh.«
»Wer sonst sollte ich sein?«
»Niemand. Und du bist einzigartig. Deshalb packst du jetzt deinen Koffer für Schweden.«
»Ich will mit dem Zug fahren.« Ich mag Züge.
»Das habe ich schon geahnt, Kumpel. Belinda sagt, es sei machbar, falls du heute Abend in Edinburgh bist. Wenn du ankommst, dürfte Svensson aus dem Koma erwacht sein. Finde das Muster für mich. Ich liebe dich, mein Freund. Bis dann.«
Seine übliche Abschiedsgeste – gesenkter Kopf, eine Faust hoch in die Luft gereckt wie bei einem Sportler –, dann ist er verschwunden.
Ashok meint es nicht ernst, wenn er sagt »ich liebe dich, mein Freund«. Es ist das blumige sprachliche Register, das Kaitlin einmal als »das Vokabular von Männern mit dem längsten Schwanz« bezeichnet hat. Ich aber meine es ernst, wenn ich jemandem sage, dass ich ihn liebe. Für einen Sechsunddreißigjährigen habe ich es nicht sehr oft gesagt. Drei Mal in zwei Jahren, immer zu derselben Frau. Und wenn ich sie nicht mehr liebe, sage ich: »Kaitlin, ich liebe dich nicht mehr und kann dich nie mehr lieben.«
Sie gestand mir die Affäre am Samstag,
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