Die da kommen
verwirrt. Er ist nicht dein Sohn, und du gehörst nicht mehr zu seinem Leben. Wenn du sein Bestes willst, dann lass ihn bitte in Frieden. Wir müssen alle nach vorn schauen.
Kaitlin Kalifakidis ist Rechtsanwältin. Wir sind uns bei einem Fall begegnet. Ich fühlte mich sofort von ihr angezogen. Mir gefiel ihr griechischer Nachname, aber am meisten faszinierte mich ihr wildes Haar. Es wirkte durcheinander, sogar ein bisschen unprofessionell angesichts ihres nüchternen Berufs. Selbst wenn sie es zusammenband, war – und ist es – immer noch eine gewaltige Menge Haar. Das fiel mir also zuerst auf: dieses aufgetürmte Chaos in einem Farbton namens Gebranntes Zedernholz. Ich mochte ihren Mund. Die vollen Lippen, die sie in einem schönen, kraftvollen Rot nachzog. Weit auseinanderstehende lebhafte Augen, ein kleiner, gepflegter Körper. Es gibt bestimmte Farben, die ich überhaupt nicht mag, daher war es mir angenehm, dass sie sich hauptsächlich einfarbig kleidete. Schwarz, Weiß und Creme- oder Beigetöne – niemals grelle Farben. Alles war diskret und passte zu ihr. Die einzige leuchtende Farbe trug sie auf den Lippen, der Rest ihres Make-ups waren Variationen ihrer eigenen Haar- und Hautfarbe. »Man kann sich leichter entscheiden«, erklärte sie einmal. »Außerdem sollte die Kleidung einen gut präsentieren. Nicht umgekehrt.« Das gefielmir an ihr: die Entscheidung, ihre Garderobe auf das zu beschränken, was funktionierte, und die Mode zu ignorieren. Der praktische Ansatz.
Als der Fall erledigt war, sagte sie zu mir, sie habe mich sehr attraktiv gefunden, und lud mich zum Essen ein. Bei dieser Mahlzeit erfuhr ich, dass sie zweisprachig aufgewachsen war, und ich probierte einige griechische Sätze an ihr aus. Sie musste lächeln, stellte mir weitere Fragen und schien das, was sie hörte, aufregend zu finden. Sie wusste schon alles über Phipps & Wexman und hatte von Professor Whybrays Arbeiten über Massenhysterie gehört. Sie war beeindruckt, dass ich so eng mit ihm zusammenarbeitete und er mein Mentor gewesen war. Als sie mich nach dem Essen zu sich nach Hause einlud, brauchte ich kein mentales Diagramm, um mir den Ablauf vorzustellen. Sie hatte mir schon von Freddy erzählt, er war damals fünf. Sie hatte ihn als »vaterlos geboren« bezeichnet, wechselte aber das Thema, als ich fragte, wie das technisch möglich sei. Bei ihr gab es kaum Tabus, aber ich lernte schnell, dass die Vaterschaft von Freddy Kalifakidis dazugehörte.
Kaitlin beschäftigte ein Au-pair-Mädchen, das bei ihr wohnte und dem Jungen bereits Essen gemacht und ihn zu Bett gebracht hatte, als wir kamen. Die junge Frau verschwand diskret in ihrem Zimmer. Kaitlin und ich hatten in dieser Nacht und am nächsten Morgen Sex. Sie hatte mich gewarnt, dass wir wegen Freddy und des Au-pairs leise sein müssten, aber mit Stille habe ich ohnehin kein Problem. Ich finde, dass Frauen beim Sex oft störende Geräusche machen, genau an meinem Ohr, was von mir verschiedene Bewältigungsmechanismen erfordert. Ich griff gern mit den Händen in ihr griechisches Haar. Falls sie der fehlende Blickkontakt störte, erwähnte sie es zumindest nicht.
Ich entdeckte, dass Kaitlin sehr geradeheraus und geschäftsmäßig war, was ihre Bedürfnisse betraf, sowohl im Bett alsauch außerhalb. Nach einigen Verabredungen wurde mir klar, dass ich mich für einen Job vorstellte, auf den ich mich gar nicht beworben hatte. Sie sagte, sie wolle einen Mann in ihrem Leben, der ihrem Sohn als Rollenmodell dienen konnte, der ihren Lebensstil und ihre Arbeit respektierte, der sexuell zu ihr passte und den sie allmählich lieben lernen konnte.
»Funktioniert es so?«, erkundigte ich mich. Anhand meiner Kenntnisse der Populärkultur, empirischer Beobachtungen und dessen, was mir Professor Whybray erzählt hatte, als seine Frau Helena im Sterben lag, hatte ich es mir anders vorgestellt. Als ich meinen Zweifeln Ausdruck verlieh, schlug sie eine Probezeit von drei Monaten vor. Ich fragte nicht, wie viele Männer sie schon in Betracht gezogen hatte oder weshalb sie mich wollte. Sie wollte mich eben.
Die Probezeit verlief erfolgreich: Kaitlin gefiel es, dass Freddy und ich auf einer geistigen Ebene zueinanderpassten. Mir gefiel es auch. In seiner Gegenwart fühlte ich mich von Anfang an entspannt. Und ihm ging es genauso. Er schaute gern zu, wenn ich Origami-Modelle faltete. Er mochte die Volksmärchen, die ich ihm erzählte, und zupfte gern an den Haaren auf meinem Arm oder ließ sich
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